Anfangen
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Anfangen

Eva Reuter
Ein Beitrag von Eva Reuter, Katholische Pastoralreferentin, Betriebsseelsorge im Bistum Mainz / Regionalstelle Rheinhessen

Mein Blick bleibt an einem Poster hängen. Darauf steht: „Wer aufhört anzufangen, hat angefangen aufzuhören.“. Ich muss es noch mal langsam lesen, um es zu verstehen: „Wer aufhört anzufangen, hat angefangen aufzuhören.“. Und dann muss ich lächeln und denke: „Stimmt!“

Für mich ist „anfangen“ ein Wort mit positiven Assoziationen: Im frisch gefallenen Schnee die ersten Spuren ziehen, die ersten Worte auf ein weißes Blatt Papier schreiben, den ersten Spatenstich tun. Das alles macht mir Freude. Es ist ein Stück Vorfreude, denn ich denke an den fertigen Brief oder die wachsenden Pflanzen im Garten. Es ist aber auch Freude darüber, dass ich etwas Neues anfangen kann. Ich freue mich darauf, was sich entwickelt. Manchmal weiß man ja nicht so genau, wohin etwas führt.

Ich finde es toll, wenn Menschen etwas Neues anfangen. Es hat mich begeistert, als ich meiner Tochter zuschauen durfte, wie sie Fahrradfahren lernte. Diese strahlende Freude darüber, es zu können, jetzt ganz neue Möglichkeiten zu haben – wunderbar. Und ich finde es toll, dass eine Kollegin ihren Ruhestand damit beginnt, Italienisch zu lernen.

Neues wagen hat mit Neugier zu tun. Menschen, die etwas Neues probieren, sind neugierig auf die Welt und auf das Leben.

Es ist aber auch ein Risiko: Es könnte misslingen, das Vorhaben könnte scheitern, meine Erwartungen könnten nicht erfüllt werden.
Das ist mir auch schon passiert: Ich habe motiviert mein Lauftraining begonnen und nach ein paar Wochen feststellen müssen: So o regelmäßig komme ich doch nicht zum Training. Die mühsam aufgebaute Kondition hatte sich wieder abgebaut. Ich war ärgerlich!

Aber trotzdem fange ich neu an. Nochmal! Weil es mir wichtig ist. Ich möchte gerne regelmäßig joggen, weil ich spüre, dass es mir gut tut und ich es schaffen will, dran zu bleiben. Also noch mal von vorne! – Auch das Fahrradfahren erlernt man nicht an einem Tag!

Wenn ich etwas aber nicht so wirklich will, weil es eine Aufgabe ist, die man mir anvertraut hat, ohne dass ich es wollte, dann fällt mir das Anfangen manchmal schon auch schwer. Dann fallen mir viele Dinge ein, die ich vorher noch erledigen möchte.

Dann packt mich die „Aufschieberitis“ oder, fachmännisch ausgedrückt die „Prokrastination“: Jemand schiebt wichtige Aufgaben ständig vor sich her. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. Schlechtes Zeitmanagement, die mangelnde Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, oder auch Perfektionismus, der dazu führt, dass die Umstände nie gut genug sind, um etwas zu beginnen.

In extremen Fällen kann die Angst vor dem Anfangen, sogar krankhafte Züge annehmen. Oft fühlt sich der Mensch, der etwas „auf die lange Bank geschoben hat“, unzufrieden oder sogar schuldig, weil er die Aufgabe nicht erfüllt. Und das ganz unabhängig davon, ob es eine selbst gewählte oder eine von jemand anderem übertragene Aufgabe handelt.
Im schlimmsten Fall fühlt sich der Aufschieber sogar minderwertig. Er hat angefangen aufzuhören.

Aber soweit muss es ja gar nicht kommen. Ein neuer Tag gibt eine neue Chance! Heute ist der Tag, etwas anzufangen mit sich und seinem Leben. Manchmal muss ich mir nur einen ordentlichen Tritt in den Hintern geben. Beim Lauftraining Anfang des Jahres hat mir geholfen, dass ich mir meinen Schweinehund, der mich hartnäckig am Lauftraining hindert wollte, bildlich vorgestellt habe. Und dann habe ich diesen Gesellen in meinen Gedanken in eine Ecke im Hof gesetzt, in der er beleidigt schmollt und auf meine Rückkehr wartet. - Falls Sie es eher nüchtern mögen: Ein Punkt auf einer Liste, den man fett durchstreichen kann, gibt auch ein schönes Gefühl.

Den größten Anfang der Geschichte hat Gott gemacht: Am Anfang aller Zeiten sagte er: „Es werde Licht!“ – Alles andere kam danach. Vielleicht wusste er da auch noch nicht genau, wie Elefanten aussehen sollen oder wie er Ebbe und Flut organisieren soll, aber er hat angefangen – und am Ende sah er: Es war sehr gut!. So steht es in der Bibel. Und so können wir auch anfangen: Erstmal Licht machen!

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