Drei Mal neu
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Drei Mal neu

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Vor uns liegt ein neues Jahr. 365 Tage wie unbeschriebene Blätter. Und jeder einzelne Tag ist eine Chance, etwas Neues zu machen.

Das klingt frisch und schwungvoll, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn wir bringen ja ganz viel aus dem alten Jahr mit. Wir sind immer noch dieselben und unsere Umgebung auch. Entsprechend fühlt sich der Neujahrsmorgen bei vielen auch an.

So viel NEU ist im Moment noch nicht. Auf den Straßen liegen die Reste der Silvesternacht. Der lange Abend hängt vielen noch nach. Wer kann, schläft aus. Wer es nicht kann, hätte gerne ausgeschlafen. Diese gebremste Stimmung hat die Popgruppe Abba in einem Song beschrieben. Er trägt den Titel „Happy New Year“, also: Frohes neues Jahr.

Musik: ABBA, Happy New Year

Kein Sekt mehr da, auch das Feuerwerk ist zu Ende. Da sind wir nun, wir beide. Fühlen uns verloren und traurig. Die Party ist vorbei, und der Morgen wirkt grau – ganz anders als gestern.

Etwas melancholisch klingt dieser Song. Verwunderlich, denn eigentlich ist Abba ja eher als Gute-Laune-Truppe bekannt. Doch auch sie hängen zu Beginn des neuen Jahres noch etwas müde am alten.

Was könnte mehr Schwung geben? Die Evangelische Kirche versucht es mit einer Losung, so etwas wie einem Motto, für das Jahr 2017. Darin verspricht Gott: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ (Hesekiel 36,26) Ein neues Herz und ein neuer Geist – gleich zweimal Neues wird versprochen. Klingt das gut? Ehrlich gesagt: Bei mir löst das Wörtchen NEU gemischte Gefühle aus.

Im Supermarkt, in dem ich immer einkaufe, lese ich das Wörtchen NEU oft auf Werbeschildern an Produkten. Das NEU soll bei den Kunden die Neugier wecken – und die Kauflust. Aber diese Neugier ist bei vielen gar nicht so groß. Zu viele Neuigkeiten gibt es, zu vieles ist ständig in Bewegung. Und längst nicht immer ist das angeblich Neue auch wirklich neu. Manchmal hat es nur eine neue Rezeptur, immerhin.

Oder es ist einfach das Alte, nur neu verpackt. Und nicht selten ist dann für den gleichen Preis einfach weniger drin. NEU ist also nicht immer besser. Heute verbirgt sich im Gewande des Neuen oft sogar eine Verschlechterung, eine Kürzung. Oder ein leeres Versprechen. Doch das Wörtchen NEU hat auch noch eine andere Seite. Es ist aufgeladen mit Energie und mit der Sehnsucht nach etwas Besserem.

Das wird dringend gebraucht. Wenn man sich in der Welt umschaut, findet man vieles, was neu werden müsste. Das gilt auch für den persönlichen Bereich.

Manche Eltern wünschen sich zum Beispiel, dass die Kinder ihre Einstellung zur Schule neu überdenken und dort weniger träge sind. Andere schauen auf ihre Beziehung, die mehr schlecht als Recht vor sich hin dümpelt. Sie bräuchte neuen Schwung – oder gar einen Neuanfang – vielleicht sogar ein Ende, das etwas Neues ermöglichen könnte.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich also: Dieses NEU kann ganz Verschiedenes meinen. Dabei interessieren mich drei Aspekte besonders: Erstens Regeneration, zweitens Reformation und drittens Revolution.

Das erste NEU heißt Regeneration und fühlt sich an wie der Morgen nach einem langen und guten Schlaf. Dann fühle ich mich wie neu geboren und bin fit für einen neuen Tag. Das fühlt sich gut an, obwohl ich ja immer noch derselbe bin. Nur eben neu aufgetankt. Schon um der alte zu bleiben, braucht man also täglich neue Kraft. Das meint Regeneration.

Das zweite NEU ist die Erneuerung. Etwas wird neu, indem es sich weiterentwickelt. Das erlebe ich, wenn ich mit meiner Partnerin durch eine tiefe Krise gegangen bin. Wenn wir am Ende wieder zusammen finden, kann unsere alte Liebe neu entflammen und noch inniger werden als zuvor.

Für dieses Erneuern gibt es den lateinischen Begriff Reformation. Gerade in diesem Jahr wird er oft genannt, denn er erinnert an eine Reformation historischen Ausmaßes. Aus ihr sind vor 500 Jahren die evangelischen Kirchen hervorgegangen. Sie sind also seit 500 Jahren dabei, Gott und den Glauben und sich selbst immer wieder neu zu entdecken.

Das dritte NEU lautet Revolution. Dabei wird Altes wirklich weggefegt und durch Neues ersetzt. Das kann schmerzhaft sein. Denn neues kann ja erst werden, wenn man sich von Altem getrennt hat. Davon erzählt der uralte Mythos vom Vogel Phönix. Der Phönix verbrennt und zerfällt zu Asche. Daraus ersteht er dann in strahlend neuer Gestalt wieder auf – eben wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche. Er ist ein Sinnbild für die menschliche Sehnsucht nach einem neuen, einem anderen Leben. Den Phönix haben Christen als Hinweis auf Jesus Christus gedeutet. Denn er ist gestorben und wiederauferstanden. So hat er eine neue Wirklichkeit geschaffen.

Soweit drei Mal NEU: Regeneration, Reformation und Revolution. In allen dreien stecken eigene Energien, Erwartungen und Hoffnungen. Sie werden dringend gebraucht. Denn jeder weiß, dass nicht alles so bleiben kann, wie es ist. Allerdings: Es ist gar nicht so einfach, dem Neuen seinen Raum zu lassen. Die Stiefel der Gewohnheit sind schwer. Allzu leicht bleibt alles beim Alten. Und Menschen sind Meister darin, das zu übersehen. Davon weiß auch die Popgruppe Abba ein Lied zu singen:

Musik: ABBA, Happy New Year

Manchmal sehe ich, wie die schöne neue Welt ankommt. Und ich sehe, wie sie in der Asche unserer Leben aufblüht. Oh ja, der Mensch ist ein Narr und glaubt, er werde in Ordnung sein. Dabei schleppt er sich weiter auf tönernen Füßen, ohne zu merken, dass er in die Irre geht. Und geht dennoch immer weiter.


Steht auf zerbrechlichen Beinen, läuft in die Irre und merkt es nicht einmal – so schaut Abba hier auf die Menschheit. Ganz schön deprimierend. Oder realistisch? Vermutlich beides. Jedenfalls findet man beides auch in der Bibel. Sie beschreibt vielfach, wie schwer sich die Menschen mit dem Neu-Werden tun.

Gut also, dass Gott sich darum kümmert. Er macht den ersten Schritt. Gott macht neu. Das sagt die Jahreslosung, das Motto der evangelischen Kirche für das Jahr 2017: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ Neues wird hier versprochen. Wo und wie werden wir dieses NEU Gottes im neuen Jahr finden?

Ein solches NEU können wir täglich erleben: die Regeneration. Das Leben verdankt sich nicht sich selbst. Es wird geschaffen. Das ereignet sich täglich neu, denn man gewinnt seine Kraft für den Tag nicht aus sich selbst, sondern aus Gottes Schöpfung: aus Sonne und Luft, aus Wasser und Nahrung. Viele spüren zudem: Wenn wir dem Verschleiß des täglichen Lebens standhalten wollen, brauchen wir noch etwas anderes. Auch die Seele muss sich erneuern, muss auftanken an der Liebe Gottes. So schenkt Gott täglich ein neues Herz und einen neuen Geist.

Ein zweites NEU Gottes ist die Reformation, also die Erneuerung. Die spürt man nicht immer gleich. Aber von Zeit zu Zeit merkt man es doch: Alles Leben ist in Bewegung. Was bleiben soll, wie es war, bleibt auf Dauer nicht. Was dagegen bleiben will, muss sich weiter entwickeln. Das gilt für Beziehungen genauso wie für den Beruf. Und das gilt für den Glauben. Auch Gott muss man immer wieder neu suchen und entdecken. Dafür verspricht Gott ein neues Herz und einen neuen Geist.

Wer schließlich das dritte NEU Gottes, das Revolutionäre sucht, stößt am Ende der Bibel auf eine große Verheißung. Da verspricht Gott einen ganz neuen Himmel und eine neue Erde. Gott kündigt an: „Siehe, ich mache alles neu“ (Offenbarung 21,5). Ein großes, umfassendes NEU. Darin wird das Leben völlig neu erfunden, bei Gott, in Gott. Dieses große Versprechen ist noch nicht eingelöst. Es ist eine Hoffnung, die nicht aufgebraucht ist. Aber sie wirkt bereits hinein in die Welt von heute. Sie leuchtet in das Dunkel der Verzweifelten. Sie macht den schweren Stiefeln der Gewohnheit Beine. Sie macht Mut zu Neuem – in unserem Leben. Dafür bietet das Jahr 2017 viel Raum. Was könnte neu werden?

Die Popgruppe Abba macht im Refrain ihres Songs einen Vorschlag. Wer noch nach einem guten Vorsatz für das neue Jahr sucht: Hier kommt er.

Frohes, neues Jahr! Mögen wir alle für jetzt und später die Vision von einer Welt haben, in der jeder Nachbar ein Freund ist. Mögen wir alle die Hoffnung und den Willen haben, es zu versuchen.

Musik: ABBA, Happy New Year

Der Text im Original auf Englisch:

No more champagne
And the fireworks are through
Here we are, me and you
Feeling lost and feeling blue
It’s the end of the party
And the morning seems so grey
So unlike yesterday
Now’s the time for us to say

Happy New Year
Happy New Year
May we all have a vision now and then
Of a world where every neighbor is a friend
Happy New Year
Happy New Year
May we all have our hopes, our will to try
If we don’t we might as well lay down and die
You and I

Sometimes I see
How the brave new world arrives
And I see how it thrives
In the ashes of our lives
Oh yes, man is a fool
And he thinks he’ll be okay
Dragging on, feet of clay
Never knowing he’s astray
Keeps on going anyway

Happy New Year
Happy New Year
May we all have a vision now and then
Of a world where every neighbor is a friend
Happy New Year
Happy New Year
May we all have our hopes, our will to try
If we don’t we might as well lay down and die
You and I

Seems to me now
That the dreams we had before
Are all dead, nothing more
Than confetti on the floor
It’s the end of a decade
In another ten years time
Who can say what we’ll find
What lies waiting down the line
In the end of eighty-nine

Happy New Year
Happy New Year
May we all have a vision now and then
Of a world where every neighbor is a friend
Happy New Year
Happy New Year
May we all have our hopes, our will to try
If we don’t we might as well lay down and die
You and I

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