Der äußere Mensch verfällt, der innere wird von Tag zu Tag erneuert
Bildquelle Pixabay

Der äußere Mensch verfällt, der innere wird von Tag zu Tag erneuert

Heidrun Dörken
Ein Beitrag von Heidrun Dörken, Evangelische Pfarrerin, Senderbeauftragte für den Hessischen Rundfunk

Wenn Besucher zu Tränen gerührt aus einer Foto-Ausstellung kommen, dann vermutet man Bilder aus Krisen- oder Kriegsgebieten. Aber nein: Was viele und auch mich bewegt, als ich die lange Ausstellungs-Wand entlang gehe, sind Familienbilder. Vierzig Schwarz-Weiß-Fotos hintereinander. Sie zeigen einzig und allein vier Schwestern, immer als Gruppenbild: „The Brown Sisters“, die Schwestern Brown.
Der amerikanische Fotograf Nicholas Nixon hat die vier zum ersten Mal 1975 fotografiert. Aus einer Laune heraus, wie er sagt. Und
dann jedes Jahr, zuletzt 2014. Die vier Schwestern, darunter seine Ehefrau, stehen da, immer in der gleichen Reihenfolge, mit wechselnden Hintergründen und schauen den Fotografen ruhig an.

Vierzig Momentaufnahmen aus 40 Jahren. Die Schwestern waren auf dem ersten Bild zwischen 15 und 25. Natürlich sehen sie auf den letzten Bildern viel älter aus. Mit 65 hat man Linien und Falten und einen anderen Blick. Man spürt die Macht der Zeit über das Leben. Wie vergänglich und endlich Menschen sind. Sie werden älter, und irgendwann werden sie auch sterben.
Der Fotograf Nicolas Nixon meint dazu: „Wir lachen darüber. Aber jeder von uns weiß, dass ich das ernst meine: Ich werde mit der Serie für immer weitermachen, bis ich nur noch drei von ihnen fotografiere, nur noch zwei, nur noch eine. Die Frage ist, was passiert, wenn ich in der Mitte verschwinde. Aber das finden wir dann heraus."

Ich finde: Der Mann hat Mut und Humor beim Nachdenken über die eigene Endlichkeit. Es sind Fragen, die jeder Mensch für sich beantworten muss – und die gleichzeitig Fragen aller Religionen sind: Was vergeht? Was bleibt, was bleibt sogar ewig?

Auf den 40 Fotos gibt es etwas, was bleibt: Jede einzelne der Frauen sieht sich nach all den Jahren ähnlich. Die Bilder geben nicht preis, wie sie über die Zeit geliebt und gelitten haben. Aber sie sind sich selbst treu geblieben. Man sieht auf den Fotos etwas von der Würde des Individuums, das nichts mit Jahren oder dem Alter zu tun hat.

Für mich sind diese Bilder ein Kommentar zu Worten des Apostels Paulus, der einmal geschrieben hat: „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. “
Auf den Fotos gibt es noch etwas, das wächst von Jahr zu Jahr. Auch wenn die Schwestern auf jedem Bild nur minimal anders stehen, mal mehr oder weniger Abstand zwischen ihnen ist und sie stets ernst schauen: Ihre Liebe ist gewachsen. Man spürt deutlich, wie sich die Beziehungen zwischen ihnen vertieft haben, inniger geworden sind. Es sind liebevolle Familienbande. Man sieht, was Paulus gemeint hat: Der äußere Mensch mag verfallen, der innere wird von Tag zu Tag neu, er wächst.

Das hoffen Christen: Die Beziehungen mit Gott, mit Christus, mit den Menschen, die wir lieben, werden über die eigene Lebenszeit hinausreichen. Sie fangen in den Jahren dieses Lebens an: Da, wo man sich selbst treu ist, da, wo man verbunden ist mit anderen. Wunderbar, dass man das manchmal spürt und sieht, wie auf den Fotos der Schwestern Brown.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren