hr2 ZUSPRUCH
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von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

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Gemeinsam auf dem Friedhof

Ein ungewöhnliches Paar ist da gerade auf dem Friedhof unterwegs. Die alte Dame ist schon über 90 Jahre alt. Sie sieht nicht mehr gut und ist ein bisschen wacklig auf den Beinen. Aber sie ist immer schick gekleidet, groß und schlank. An ihrer Seite geht ein Mann mittleren Alters, dunkle Haare, dunkler Teint. Er hat sie, Katharina, fest eingehakt, damit sie nicht stürzt - die Wege auf dem Friedhof sind teilweise uneben. 

Die alte Dame und der Mann mit pakistanischen Wurzeln

Katharina und Rayan – so nenne ich die beiden hier mal. Ich habe sie auf dem Friedhof getroffen. Katharina ist vor Jahrzehnten aus Ostdeutschland nach Frankfurt gekommen. Sie ist schon lange Witwe. Rayan lebt seit fast 40 Jahren in Frankfurt, er hat pakistanische Wurzeln. Seine mittlere Tochter ist tragisch verunglückt, vor ein paar Monaten. Jetzt geht er jeden Tag auf den Friedhof und besucht ihr Grab. 

Es beginnt eine Freundschaft unter traurigen Umständen

Katharina und Rayan kennen sich schon lange. Sie waren auf verschiedenen Festen im Stadtteil und in einer gemeinsamen Theatergruppe. Sie haben auch schon viel miteinander diskutiert, über Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, über den Sinn des Lebens, über ihren Glauben, was sie verbindet und was sie trennt in Islam und Christentum. Als Katharina erfährt, dass Rayans Tochter gestorben ist, ist sie zuerst zurückhaltend. Sie denkt: „So nahe stehen wir uns doch nicht, als dass ich trösten könnte.“ 

Katharina tröstet Rayan

Dann fasst sie sich doch ein Herz: Nur kurz bei Rayan vorbeigehen und ihm ihr Beileid wünschen. Das Haus ist voll, die ganze Familie hat sich versammelt, Freunde und Nachbarn. An die vierzig Personen sind tagelang von morgens bis abends in Rayans Haus zusammen. Katharina und Rayan halten sich fest und lang in den Armen. Rayan kann jetzt jeden Trost brauchen.

Eine muslimische Bestattung: Beerdigung bekommt da einen neuen Sinn

Bei der muslimischen Bestattung ist Katharina auch dabei, hält sich aber dezent im Hintergrund. Manches ist ihr fremd. Männer und Frauen stehen getrennt beim Gebet. Alle tragen traditionelle Kleidung. Besonders beeindruckend ist aber für Katharina, wie die 200 oder 300 Trauergäste mit drei Spaten das Grab zuschaufeln. Alle machen mit und helfen und halten die Spaten nacheinander in der Hand. Auch Katharina. Das Wort „Beerdigen“ bekommt hier einen ganz plastischen Sinn.

„Und da habe ich gemerkt, dass Gott, der Schöpfer, für alle Menschen da ist, was ich schon immer gehofft und geglaubt habe.“

Rayan hat das Grab von Katharinas Mann entdeckt bei seinen täglichen Besuchen auf dem kleinen Friedhof. Am Todestag des Mannes holt er Katharina ab und geht mit ihr zu den Gräbern. Zusammen stehen sie zuerst am Grab von Rayans Tochter, weinen, zünden Kerzen an. Dann gehen sie zum Grab von Katharinas Mann und beten auch dort und zünden eine Kerze an. Katharina sagt: „Und da habe ich gemerkt, dass Gott, der Schöpfer, für alle Menschen da ist, was ich schon immer gehofft und geglaubt habe.“

Rayan will Katharina jetzt öfter zum gemeinsamen Friedhofsbesuch abholen, hat er mir gesagt. Allein kann sie ja nicht mehr hin. Und zusammen lässt sich der Schmerz besser aushalten. Das Bild von Katharina und Rayan, ich trage es in meinem Herzen. Es tröstet mich.