70. Geburtstag der documenta
Da stehe ich und komme mir veräppelt vor. Es ist 2017 und mein erster Besuch auf der documenta in Kassel. Auf einer Leinwand flackert ein Video: Ein Mann reitet auf dem Rücken eines anderen durch den Wald. Ich lache und schüttele ungläubig den Kopf. Aber die Menschen um mich herum schauen fasziniert und nicken andächtig.
Was wollte mir der Künstler sagen?
Ich kann nicht verstehen, was an diesem Kunstwerk beeindruckend sein soll. Und auch heute zum 70. Geburtstag der documenta frage ich mich noch immer: Was wollte mir der Künstler sagen?
Vielleicht genau das: Er wollte mich ins Nachdenken bringen, mich irritieren, meine Auffassung, was Kunst ist, auf den Kopf stellen. Oder nur nachwirken. Ich denke ja heute noch daran.
Auch im Glauben gibt nicht alles sofort einen Sinn
So geht es mir manchmal auch mit dem Glauben. Nicht alles ergibt sofort Sinn. Manches wirkt sogar absurd. Warum soll ich meine Feinde lieben, die mir Böses wollen?(Mt 5,44). Nicht jeder kann mit solchen Worten von Jesus etwas anfangen. Aber wer es tut, sieht vieles in seinem Leben in einem anderen Licht.
Vielleicht liegt darin die Chance zu einem neuen Miteinander, wenn ich nicht Gleiches mit Gleichem vergelte. Vielleicht irritiert den anderen meine Freundlichkeit, wirkt in ihm nach. Vielleicht tritt er mir dann auch wieder freundlich entgegen.
Kunst und Glaube laden ein, genauer hinzusehen
Seit ihrer Gründung hat die documenta immer wieder inspiriert, verwirrt und auch provoziert. 2022 stürzt sie in eine schwere Krise. Doch sie will aus ihren Fehlern gelernt haben und soll wiederkommen. Ich bin gespannt. Denn ich gebe zu: Das Video von damals lässt mich bis heute nicht los. Vielleicht, weil es mir gezeigt hat, neu hinzusehen.
Und da sind Kunst und Glaube sich ähnlich: Beide laden mich ein, neu hinzusehen – und mich berühren zu lassen.