hr2 ZUSPRUCH
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Walther, Lukas

Ein Sendung von

Pastoralassistent in der katholischen Pfarrei St. Elisabeth Mainz und Budenheim, Mitarbeiter Kirche im HR

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Knusper, Knusper, Knäusschen

Ich mag diese Geschichte von Hänsel und Gretel, seit ich ein Kind war: die Geschichte von den zwei Geschwistern, die sich im Wald verirren, ausgesetzt werden, in ein gefährliches Hexenhaus geraten und sich schließlich selbst retten. Gemeinsam mit Rotkäppchen gehört sie zu den Klassikern, die ich immer wieder gerne höre. Diese Geschichte findet heute wieder statt. Genauer gesagt wird sie heute Abend in Hanau neuinterpretiert. Die Interpretation bei den „Brüder Grimm Festspielen“ in Hanau will ein neues Bild zeichnen. Dieses über 200 Jahre alte Märchen bekommt neue Facetten.

Auf der Homepage der Brüder Grimm Festspiele steht: Die Neuinterpretation von Jan Radermacher und Timo Riegelsberger will dem Märchen eine neue Tiefe verleihen. Das finde ich spannend! Denn im Original von „Hänsel und Gretel“ ist es klar, wer die Bösen und wer die Guten sind: hier die Eltern und die Hexe, da die beiden Kinder! Es ist halt eine typische, düstere Gruselgeschichte. Sie erscheint auf den ersten Blick nicht sehr aktuell.

Erstaunlich existenziell

Doch ich finde, es geht auch um sehr existenzielle Themen: Armut, Angst, Verlust – und vor allem um Überlebenswillen, Zusammenhalt und die Fähigkeit, sich selbst zu retten. Hänsel und Gretel werden im Stich gelassen, buchstäblich ausgesetzt. Aber sie resignieren nicht. Sie handeln. Sie passen aufeinander auf. Und sie wachsen über sich hinaus. Sie befreien sich selbst aus ihrer Lage und besiegen die böse Hexe.

Auch in heutiger Zeit kämpfen viele Kinder und Jugendliche ja mit Unsicherheiten und Herausforderungen, familiären Probleme, Leistungsdruck, psychischen Belastungen oder gesellschaftlichen Krisen wie Krieg, Flucht oder Klimawandel. Da ist die Kernaussage des Märchens hochaktuell: Du bist nicht hilflos. Du kannst handeln. Auch, wenn die Umstände dich klein und ohnmächtig fühlen lassen.

Die Geschichte zeigt auch: Gefahr tarnt sich oft als etwas Verlockendes. Das Pfefferkuchenhaus der Hexe kann symbolisch für all die trügerischen Angebote in unserer Welt stehen – schnelle Lösungen, schöne Fassaden, hinter denen sich Missbrauch, Kontrolle oder Manipulation verbergen können. Gerade in den sozialen Medien wird mir ständig ein "Zuckerguss-Leben" vor Augen geführt – perfekt inszeniert, aber oft hohl. Hänsel und Gretel lehren mich, hinter die Fassade zu blicken und kritisch zu hinterfragen: Was ist echt? Und was ist eine Falle?

Am Ende siegt nicht die Stärke, sondern der Mut. Gretel stößt die Hexe in den Ofen – ein Sinnbild ist das für mich, dass ich Angst und Unterdrückung überwinde. Diese Befreiung geschieht nicht durch Magie, sondern dadurch, dass ich klug handle und den Mut habe, Entscheidungen zu treffen. Letztlich ist es mein Mut zur Reife.

Für klein und groß

Hänsel und Gretel ist deshalb mehr als ein Kinderbuchstoff. Für mich ist das Märchen ein Mutmacher. Ein Appell an Eigenverantwortung, an Geschwisterlichkeit – im wörtlichen und übertragenen Sinn – und an die Kraft, die in jedem Menschen steckt, auch in ausweglos scheinenden Situationen das Ruder herumzureißen.

Ein altes Märchen also – und doch vielleicht genau das, was ich heute manchmal brauche: Ein wenig Nostalgie, aber mehr noch eine Erinnerung daran, dass ich Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen muss, sondern ihnen mit Herz, Verstand und Zusammenhalt begegnen kann.

Ich versuche, ein Ticket für eine der nächsten Aufführungen von „Hänsel und Gretel“ zu ergattern, die diesen Monat noch stattfinden. Ich bin nämlich sehr gespannt, wie dieses alte Märchen neu erzählt wird.