hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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Sein Gesicht sieht man kaum

Sein Gesicht sieht man kaum. So tief gebeugt geht er. Sein Rücken ist so krumm, dass ihm fast die Mütze vom Kopf fällt. Dabei stützt er sich ab. An einem Einkaufswagen. Da ist alles drin, was dem Mann gehört. Vielleicht ist er sechzig Jahre alt. Ein Mensch am Ende. Gebeugt, rote Flecken im Gesicht. Von Gott und der Welt verlassen. Den Besitz im Einkaufswagen.

Andere eilen vorbei; und ich weiß nicht, was ich denken soll. Oder fühlen soll. Mir geht es gut. Ich habe eine Wohnung, Einkommen. Was mit dem Mann ist, kann ich nur ahnen. Für jedes Elend gibt es Gründe. Fehler und Schuld auch. Elend kann man erklären. Aushalten kann man es nicht.

Der Mann steigt in den Bus. Jemand hilft ihm, den Einkaufswagen anzuheben. Schön ist das nicht, von der Welt verlassen zu sein. Auf der Parkbank zu schlafen. Oder im Rohbau. Da pfeift der Wind. Wasser gibt’s auch nicht. Vielleicht Bier. Dann vergisst man sich. Merkt nicht mehr, dass die Welt einen verlassen hat. Schon Jahre. Die Welt vergisst schnell. Einmal nicht aufgepasst, schon ist man draußen. Die Welt dreht sich weiter und er sitzt da mit den Plastiktüten. Ohne Arzt und Versicherung. Ohne Familie vielleicht. Wie mag das gehen, Tag für Tag? Ich weiß es nicht. Ich sehe nur Elend. Mit schmerzendem Rücken. Der gehört ihm noch. Dazu der Einkaufswagen mit den sieben Sachen. Das ist alles. Wenn Gott nicht noch mehr hat für ihn. Eine schützende Hand, heute und morgen. Ein sauberes Bett. Später einmal. Wenn die Letzten die Ersten sind.