Zeugnisse
Übermorgen gibt es Zeugnisse. Die Kinder in der Schule sind schon ganz aufgeregt. Manche freuen sich darauf, manche scheinen gleichgültig, andere haben Angst. Ein Junge sagt zu mir: „Wenn mein Vater sieht, dass ich zwei Vieren habe, dann bekomme ich Ärger.“ „Was macht dein Vater?“ frage ich nach. „Er schimpft mit mir, ich bekomme Hausarrest und Handyverbot. Das ist richtig blöd.“
In unserer Leistungsgesellschaft zählt Leistung, keine Frage. Eltern wünschen sich eine gute Zukunft für ihre Kinder und die hängt auch an guten Noten. Selbst die Kinder in der Grundschule spüren das schon und sie erleben Leistungsdruck, oft mehr als gesund ist. Manche Kinder werden davon auch richtig krank. Sie haben dann Bauchweh und klagen über Kopfschmerzen. Es ist eine verrückte Welt. Manchmal bin ich froh, kein Kind mehr zu sein.
Starke Kinder braucht das Land, denke ich mir. Kinder, die wissen, was sie können und was sie nicht können. Kinder, die sich angenommen und geliebt wissen, unabhängig von ihren Noten. Kinder, die das Leben lieben, die möglichst wenig Angst haben und die ein offenes Herz für andere Menschen haben.
Die Liebe ist das entscheidende. Geliebte Kinder sind starke Kinder. Sie erleben, dass Leistung nicht alles ist. Ihr Wert hängt nicht an guten Noten. So soll es sein.
So verstehe ich das Evangelium, die gute Nachricht von der Liebe Gottes. Auch Gott muss ich nicht beweisen, dass ich gut bin. Er liebt mich so wie ich bin mit meinen Stärken und mit meinen Schwächen. Die Liebe Gottes kann ich mir nicht verdienen. Die Liebe Gottes wird jedem Menschen geschenkt, einfach so, aus lauter Gnade. Ich muss Gott nichts vorweisen. Er fragt nicht nach meinen Zeugnissen, Gott sei Dank.
Und so wünsche ich dies allen Kindern und Jugendlichen am Zeugnistag: Dass sie erleben: Wir sind unseren Müttern und Vätern unendlich viel Wert - unabhängig von unseren Noten.