hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

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... denn er wusste nicht, was er tat

Ein gebrochener Mann ist er; fürs Leben gezeichnet. Mit vierzig. Ihm ist

das Schlimmste passiert, was nur geschehen kann. Ein Moment der Unaufmerksamkeit, und sein Fehler wird zur Tragödie. Der Fahrdienstleiter

in Bad Aibling gibt eine Bahnstrecke frei, die nicht frei ist. Zwei Züge stoßen zusammen. Elf Menschen sterben, viele sind schwerverletzt. Als es zu spät ist, bemerkt der Mann seinen Fehler und will warnen. Es hilft nicht. Jetzt ist er schuld an einer Katastrophe; ein Täter aus Versehen, sozusagen. Alle sind fürs Leben gezeichnet.

Und er allein trägt die Schuld. Ich kann nicht sagen, wie leid er mir tut.  So viel Schuld kann kein Mensch tragen; das ist doch monströs. Wie soll jemand damit leben? Mit unabsichtlicher Schuld? Was haben andere schon für Fehler gemacht, oft wissentlich, und nichts ist passiert. Der Mann aber passt kurz nicht auf und lädt eine Schuld auf sich, die ein Mensch nie mehr loswerden, geschweige denn wiedergutmachen kann - selbst wenn er es wollte. Wer vergibt ihm? Wenigstens ein wenig?

Hoffentlich findet sich jemand. Wie man Trauernden hilft, wieder ins Leben zu finden, muss man Schuldigen dabei helfen. Vorausgesetzt, jemand sieht seine Schuld ein, bekennt sich zu ihr. Und bittet, dass ihm vergeben wird. Dann müssen wir tun, was Gott tut: verzeihen. Leben geben. Selbst das müssen wir verzeihen, was unverzeihlich scheint. Manchmal wissen wir nicht, was wir tun, ahnen die Folgen nicht oder sind gedankenlos. Das möge der Himmel verhüten. Aber es geschieht ja. Dann kommt die Schuld, entsetzliche Schuld. Die muss man zu vergeben versuchen, dem Schuldigen etwas an Leben zurückgeben. Wenn viel Zeit vergangen ist; wenn es mal sehr still ist, könnte jemand seine Hände falten und bitten: Vater, vergib ihm, denn er wusste nicht, was er tat.