hr4 ÜBRIGENS
hr4
Olschewski, Gudrun

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

Vergeben

Ich habe es gerade wieder einmal erlebt – einen heftigen Streit bei der Arbeit. Die Fronten waren schnell klar. Es wurde immer lauter. Schließlich steht einer wütend auf, geht zur Tür. Krachend lässt er sie hinter sich ins Schloss fallen. Wo immer Menschen miteinander zu tun haben gibt es Meinungsverschiedenheiten, und auch manchmal hässlichen Streit. Statt zu argumentieren, wird grob verallgemeinert: „So ein Mensch sind Sie also. Das habe ich immer schon gewusst“. Die Wut im Bauch rumort. So schnell wird das nicht zu vergessen sein.

Zeit vergeht, mal mehr, mal weniger, da meldet sich, bei mir jedenfalls, eine leise Stimme. Sie beginnt ein Zwiegespräch mit dem trotzigen Streithahn in mir: „Vielleicht warst du doch nicht im Recht? Du hast dem anderen wehgetan. Eigentlich tut es dir leid.“ Doch ich kenne auch meine Einwände: „Geschieht ihm recht. Schließlich hat er mich aufs Äußerste gereizt. Ich entschuldige mich jedenfalls nicht.“ Meistens vergeht noch eine Weile. Der erste Schritt aufeinander zu ist der schwerste.

Schließlich wage ich ihn, vorsichtig, wenn die Situation nicht zu verfahren ist. Ich gehe los, will mich versöhnen. Gott sei Dank, der andere auch. Zwar werden die Narben bleiben, große und kleine, bei mir und bei dem anderen. Und sie tun noch weh. Viele Dinge können eben nicht einfach ungeschehen gemacht werden, so, als wäre nichts passiert. Auch wird es anders sein als zuvor. Nach einer Enttäuschung bin ich vorsichtiger. Trotzdem, ein neuer Anfang ist möglich.

„Vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat“, heißt es in der Bibel. Ich kann dem anderen damit einen Gefallen tun. Den größten jedoch mir selbst.