Zwillinge

Meinen alten Klassenkameraden habe ich  schon seit Jahren nicht mehr gesehen, und jetzt stand er vor mir. Und da war auch mein Problem: War es Lars? Oder doch vielleicht sein Zwillingsbruder Sven? Schon in der Schule waren die beiden fast nicht zu unterscheiden und haben mit ihren Späßen auch den einen oder anderen Lehrer zur Verzweiflung gebracht. Kannte man sie genauer, sah man schnell, wie verschieden die beiden waren: Lars war Linkshänder, Sven Rechtshänder, Sven hatte mehr Sommersprossen und war sportlicher als sein Bruder. Dafür war Lars viel musikalischer.

Früher war es für mich kein Problem, die beiden zu unterscheiden. Aber jetzt? In den Augen meines Klassenkameraden funkelte es. „Na, wer bin ich? Das überlegst du doch jetzt, oder?“ Und da war es: Dieses unverkennbare Grinsen. Es war Lars, da gab es keinen Zweifel. Ich finde es faszinierend, wie unterschiedlich wir Menschen sind. Wie einzigartig die Fähigkeiten und Interessen von jedem von uns sind. Selbst eineiige Zwillinge, die genetisch fast identisch sind, unterscheiden sich doch in ihrem Wesen und in ihrem Aussehen. Nicht einmal ihre Fingerabdrücke sind gleich.

Ich staune immer wieder darüber, mit wie viel Liebe zum Detail jeder einzelne geschaffen wurde. Manchmal fühle ich mich klein und unbedeutend, habe das Gefühl, dass es eigentlich egal ist, ob ich da bin oder nicht. Aber ich glaube: Gott hätte sich wohl nicht so viel Mühe mit mir gegeben, wenn ich ihm egal wäre.