hr4 ÜBRIGENS
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Olschewski, Gudrun

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

Schneeblume

Schneeblume

In der dunkelsten Zeit des Jahres, wenn die Natur ruht, die Erde am kältesten ist, hat sie ihren großen Auftritt: die Christrose. Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich sie als Kind zum ersten Mal sah. Kurz vor Weihnachten war das. Am Morgen hatte es heftig geschneit. Draußen war es bitter kalt. In dicke Jacken gepackt, mit Schal um den Hals und Mütze auf dem Kopf, machten wir uns am späten Nachmittag auf den Weg Richtung Schrebergarten.

Meine Großeltern wollten Tannenzweige schneiden. Ich durfte zum ersten Mal mit. Als wir den Garten endlich erreichten, dämmerte es schon. Ich konnte es kaum erwarten, öffnete das Törchen und stapfte durch den tiefen Schnee. Und dann entdeckte ich sie im Schutz der jungen Tannen.

„Eine Schneeblume“, hab ich gerufen. Im Dunkeln leuchteten mir die weißen Blüten der Christrose geheimnisvoll entgegen. „Warte“, rief Großmutter und konnte mich gerade noch davon abhalten, mir eine abzupflücken. „Diese Blume ist etwas ganz Besonderes. Wenn sie blüht, dann dauert es nicht mehr lange. Das Christkind kommt bald.“ Und dann erzählte sie mir diese Geschichte:

„Als die Hirten von ihrer Weide zum Stall nach Bethlehem unterwegs waren, kamen sie an einem Rosenstrauch vorbei. Da trauten sie ihren Augen nicht: Der Strauch trug wunderschöne Blüten, und das mitten im Winter. Heimlich pflückte einer von den Hirtenjungen eine Rose und legte sie in die Krippe zum Christkind. Deshalb nennt man die Blume, die im Schnee wächst: Christrose.“

Heute weiß ich natürlich: Die Blumen, die mitten im Winter in der Wüste blühen, sind ganz andere, als die Christrosen in meinem Garten. Aber Großmutters Tradition, am Weihnachtstag eine in die Krippe zu legen, die habe ich beibehalten.

Für mich ist sie ein blühendes Zeichen dafür, dass Gott in die Welt kommt. Mitten im kalten Winter – wohl zu der halben Nacht. So leuchtet die Geburt seines Sohnes in das Dunkel der Welt verheißungsvoll wie die weißen Blüten der Christrose damals in Großmutters Garten.