Neue Maßstäbe, wenn's nicht mehr so schnell geht

Ich gebe es zu: Ich habe mich früher auch immer wieder gefragt, warum es viele Alte so eilig haben, zum Beispiel an der Kasse im Supermarkt. Jetzt bin ich selber alt und weiß, dass auch alte Menschen unter Zeitdruck stehen können, allerdings aus ganz anderen Gründen als damals, als mich der Berufsalltag hetzte. Heute hetzt mich ein Arzttermin, ich soll pünktlich zur Krankengymnastik kommen, und auf dem Weg dahin will ich etwas in der Apotheke erledigen. Eigentlich bin ich rechtzeitig losgegangen. Aber als ich die Apotheke betrete und auf die Uhr sehe, werde ich unruhig. Mein Termin kommt immer näher. Warum bin ich bloß nicht früher losgegangen?

Ja, das ist es: ich brauche einfach für alles, was ich anfange, viel länger. Und diese Veränderung müsste ich in meinen Planungen berücksichtigen. Aber das fällt mir schwer. Denn ich  müsste mir ja immer wieder eingestehen, dass ich alt geworden bin. Und wer mag das schon - insbesondere in der heutigen Zeit.  Heute will jeder bis ins hohe Alter jung und dynamisch sein. Und weil das einigen wenigen gelingt, werden sie immer wieder vorgezeigt, wie sie mit weit über 70 Marathon laufen, Berge erklimmen, im Fitness Studio schwitzen. Vorbildlich und bewundernswert. Aber das Bild stimmt nur für wenige. Den weitaus meisten geht es wie mir. Sie werden langsamer, weil sie von Schmerzen geplagt sind. Sie müssen sich in ihrem Lebensrhythmus umstellen.

Ich wünsche mir, auch dieses alte, eingeschränkte Leben als sinnvoll zu erleben. Ich denke, eine wichtige Voraussetzung ist es, dass ich mir die altersbedingten Behinderungen eingestehe, sie mir erlaube. Sie gehören jetzt zu mir, wie früher mein Tempo. Es ist ein neuer  Maßstab, einer der jetzt für mich gilt. Vielleicht ist das ist der Weg, etwas Schweres zu lernen, nämlich nicht unglücklich zu sein, wenn man mit den Jüngeren nicht mithalten kann. Denn es gibt noch eine Menge anderes, Schönes, Lebenswertes und Liebenswertes, das wichtig ist in meinem Leben.