Nähe
Da steht sie, ganz in seiner Nähe, Maria von Nazareth, nur zehn, zwölf Meter von ihrem Sohn. Sie kann es immer noch nicht fassen und erst recht nichts für ihn tun. „Kreuzigt ihn“, haben sie geschrien. Und dann musste sie es hilflos mit ansehen.
Wie gerne würde sie ihrem Sohn wenigstens die Hand halten, noch einmal seine Stirn berühren oder über den Kopf streichen. Aber sie kann es nicht tun. Da steht sie nun, ganz in der Nähe des Kreuzes und doch nicht nah genug. Ein schrecklicher Abstand. Ein paar Meter nur voneinander entfernt und doch so unendlich weit weg. Maria steht da am Kreuz und leidet. Sie leidet wie ihr Sohn. Sie weiß: Es wird nie wieder so sein, wie es war.
„Warum musste das alles so geschehen“. Maria ist verzweifelt. Chancen, sich davon zu machen, hatte Jesus reichlich. Immer wieder rieten ihm Freunde davon ab, zu deutlich zu werden. Beim Verhör hätte er sagen können, dass er das alles so nicht gemeint hat oder hätte drum herum reden können. So, wie es eben gang und gäbe war. Aber jetzt hängt er da am Kreuz, ein paar Meter nur entfernt und doch so unendlich weit weg. Und all das, wofür er in seinem Leben eingetreten ist, ist mit seinem Tod am Kreuz offensichtlich auch gescheitert.
Erst viel später beginnt Maria zu ahnen, dass Jesu Tod nicht das Ende ist. Sie fängt an zu begreifen. In ihrem Sohn Jesus leidet Gott selbst und nicht nur das. Gott leidet wie die Menschen und er leidet für die Menschen. So wie er mit Jesus Christus am Kreuz litt, hat Gott auch mit ihr gelitten, die hilflos zusehen musste, wie ihr Sohn gestorben ist. Gott selber hat sich dem Leiden ausgesetzt und kommt den Menschen darin ganz nah.
Nach all der Ohnmacht und Verzweiflung kann Maria das spüren: „Ja, er ist einer von uns.“ Selbst in diesem schrecklichen Todes war Gott da. Nach und nach lernt sie, sich dem Leben wieder zuzuwenden. So wird das Kreuz für Maria ein Zeichen ganz besonderer Nähe Gottes zu den Menschen.