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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Willmenrod

Ich war fremd

Ich war fremd

„Ich war fremd – ihr habt mich aufgenommen.“ Diesen Satz hat Jesus einmal gesagt, und er ist das Motto für den Weltgebetstag der Frauen heute. In vielen Gemeinden weltweit beginnt um diese Zeit ein Gottesdienst, der diesmal von französischen Christinnen vorbereitet worden ist. Bei dem Thema geht es natürlich auch um die Frage, die in Frankreich so wichtig ist wie bei uns, wie wir Menschen aus fremden Ländern aufnehmen. Aber mich erinnerte der Satz von Jesus zuerst an ein Erlebnis aus meiner Konfirmandenzeit.

Denn in unserer Gruppe sollte ein Junge konfirmiert werden, der seit seiner Geburt körperlich und geistig behindert war. In den Reihen der Eltern herrschte zunächst Unverständnis darüber: Wie soll das denn gehen? Wie soll so ein Junge denn die Prüfung bestehen? Er ist doch so anders als die anderen…

Auch wir Jugendliche hatten Berührungsängste. Obwohl er im selben Dorf wohnte, kannte ihn eigentlich niemand. Es war neu für uns, auf jemanden so viel Rücksicht zu nehmen. Und ungewohnt, so viel Geduld haben zu müssen, weil er langsam und stockend sprach. Er war uns fremd, aber wir haben schnell gemerkt: Wirklich anders ist er eigentlich nicht. Er war ein vierzehnjähriger Jugendlicher wie wir. Wir stritten darüber, welcher Musiker der beste ist und welche Fernsehserie gerade angesagt ist. Bald gehörte er für uns dazu.

Es gibt viele Arten fremd zu sein. Und es kann schnell passieren, dass man selber irgendwo fremd ist. Dann merkt man, wie gut es ist nach einiger Zeit sagen zu können: „Ich war fremd – ihr habt mich aufgenommen.“