hr4 ÜBRIGENS
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Eine Sendung von

Pfarrerin, Evangelisches Gemeindenetz an der Nördlichen Bergstraße, Alsbach

Gebet

Gebet

Eine Freundin von mir besichtigte einmal den Limburger Dom. Auf einmal wurde die Tür aufgestoßen, ein junger Mann stürmte herein – und schrie aufgebracht. Sofort begannen einige Besucher, den jungen Mann zu ermahnen, er solle die heilige Ruhe des Gotteshauses achten. Jemand versuchte sogar, ihn festzuhalten. Er riss sich jedoch los und stürmte in Richtung Altarraum. Er sah wütend aus und verzweifelt. Einige waren drauf und dran, den jungen Mann aus der Kirche zu werfen. Da kam eine Nonne dazu und hielt die anderen zurück: „Lasst ihn! Er betet.“

Mittlerweile stand der junge Mann alleine im Altarraum. Und tatsächlich: Er klagte Gott an. Irgendwann sank er auf die Knie und sein wütendes Schreien verwandelte sich in Weinen. Langsam näherte sich ihm die Nonne; sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und sprach leise mit ihm. Dass sie den jungen Mann in Schutz genommen hat, hat Wurzeln in der Bibel. Da gibt es nämlich auch verzweifelte Gebete, wie im Psalm 69: „Gott, hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Kehle. Ich versinke in tiefem Schlamm (...) Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser.“

Solche Gebete erinnern daran: Im Gespräch mit Gott hat alles Platz. Die Verzweiflung, dass ein Mensch viel zu früh von uns gegangen ist. Oder die Trauer darüber, dass eine Beziehung zerbrochen ist. Der Mann aus dem Limburger Dom hat das offenbar geahnt: Gott hält mich und meine Wut aus - er lässt mich nicht allein.