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Eine Sendung von

evangelisch, Frankfurt am Main

Früher - als man den Beruf nicht wählen durfte

Früher - als man den Beruf nicht wählen durfte

Wenn jemand Geschichten erzählt von früher, dann sind das oft ganz erstaunliche Geschichten. Geschichten von Zwängen und Nöten, von Verhaltensweisen und Erwartungen der Menschen damals, die heute gar nicht mehr zu verstehen sind. Und das hörte ich von damals, von früher:

„Ich lernte im elterlichen Betrieb Fleischverkäuferin. Schwere Arbeit war das. Als Tochter des Hauses erlebte ich gar keine Rücksicht. Im Gegenteil: wenn alle gingen, musste ich noch putzen. Aber etwas fiel mir ganz besonders schwer. Wir hatten auch über Mittag auf, aber es kam kaum jemand. Und ich war doch schon so müde und wollte mich schrecklich gern einmal in die Ecke auf einen Hocker setzen – es hätte mich ja keiner gesehen. Als meine Mutter mich dabei erwischte, fuhr sie mich streng an: “So geht das nicht. Du musst hinter dem Tresen stehen und raussehen, denn es könnte jemand vorbeikommen, der uns kennt und der gegrüßt werden will.“

Gibt es so etwas heute noch?  Ich denke, die Zeiten sind vorbei, in denen man ein solches Verhalten als richtige Erziehung empfand. Man könnte sich bei einer solchen Geschichte ja beinahe empören. Ich erzähle das, weil ich mir vorstellen kann, dass junge Menschen dadurch die Großeltern besser zu verstehen lernen, wenn sie davon hören. Vielen ist es so gegangen wie der jungen Frau, die Fleischverkäuferin werden musste – weil der elterliche Betrieb es verlangte. Da wurde nicht gefragt und nicht diskutiert, ob das die richtige Entscheidung für eine gelingende Zukunft ist.

Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Aber wer das erlebt hat, der trägt das immer noch mit sich herum. Darum verstehe ich die Schwierigkeiten der Großelterngeneration, die sich erst daran gewöhnen muss, dass die Enkel oft länger auf der Suche sind, bis sie die richtige Ausbildung finden und die manchmal sogar wechseln. Und doch: am Ende höre ich viel öfter von Verständnis für die jungen Menschen heute, als man nach solchen Erfahrungen erwarten könnte.