Ein kleiner Brief vom großen Glück
Ich habe aufgeräumt, und da ist er mir wieder in die Hände gefallen. Zum ersten Mal habe ich ihn gelesen nach dem Tod meines Vaters. Er ist von einem Kriegskameraden meines Vaters, und ich musste den alten grauen Brief ganz vorsichtig entfalten, denn die Zeit hatte ihn mürbe werden lassen.
Nach dem Krieg war Papier sehr knapp. Nichts durfte man wegwerfen. Auf einem ganz kleinen Briefbogen schrieb er mit winzigen, ordentlichen Buchstaben von seinem Leben nach dem großen Krieg: Er hatte Arbeit gefunden als Hilfskraft in einem Krankenhaus. Und er hatte eine Unterkunft gefunden, die er präzise beschrieb.
Ein Bett stand da drin, weiß gestrichen, weißes Bettzeug, ein Holztisch mit einer richtigen Tischdecke, zwei Stühle und ein Schrank, und alles war sauber und ordentlich. Aus seinen Worten konnte ich es noch nach Jahrzehnten erkennen: Vaters Freund war glücklich, den Krieg überlebt zu haben, und er fühlte, dass das Chaos zu Ende war.
Ein kleiner grauer Brief. Und die Gedanken gehen zurück. Erinnerung an Flucht, Bombenangriffe, kein Bett, kein Wasser, Durchhalteparolen, die wohl kaum einer mehr glaubt, Kriegsende. Und was mag dieser Soldat noch alles erlebt haben… Und dann? Ein kleines Zimmer, für ihn allein, geheizt, ein Bett, ein Schrank, ein Tisch.
Sechs lange Kriegsjahre hatte der Soldat sich das gewünscht! Als dieser Wunsch sich wirklich erfüllte, da sollte ein anderer mit ihm fühlen, sich mit ihm freuen, mit ihm glücklich sein. Wie gut, dann jemanden davon zu erzählen, sein Glück zu teilen, damit es sich verdoppelt. Wie mit diesem Brief an meinen Vater, der ihn nie weggeworfen hat. Ein kleiner Brief von großem Glück.