hr4 ÜBRIGENS
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Warum ich nicht richten darf

Warum ich nicht richten darf

Einige Worte zu Johannes Heesters erlaube ich mir noch, vier Tage nach seiner Beerdigung in München. Eigentlich nicht Worte zu „Jopi“ Heesters, sondern zu denen, die ihm Vorwürfe machen wegen seines Lebens im Dritten Reich. Ja, da hat er gesungen und viele Filme gedreht. Ja, er hat es sich gut gehen lassen in der Zeit des Dritten Reichs, hat aber auch jüdische Künstler beschäftigt (auf einer Tournee). Er war beliebt, bekannt und wurde von den damals Herrschenden geschätzt. Das muss Heesters mit seinem Gewissen vor Gott ausmachen.

Darf ich aber darüber richten? Darf man ihm heute vorwerfen, dass er damals seine Beliebtheit und sein Leben genossen hat? Ich mache da nicht mit. Ich verurteile nicht, was ich nicht beurteilen kann. Die Zeit des Dritten Reichs war eine Ausnahmezeit. Ich bewundere alle, die früh und entschlossen dagegen waren. Ich danke Gott für einen Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, der sein Leben eingesetzt hat, um die Diktatur zu beenden. Ich sage aber nicht: Das hätten alle so machen müssen. Ich kann doch nur ahnen, wie viel Angst damals in Menschen war, Angst um das eigene Leben, Angst um ihre Familien. Ich werfe niemandem vor, dass er oder sie mitgemacht oder geschwiegen oder einfach weggeschaut hat. Das darf ich nicht.

Ich weiß doch gar nicht, wie ich mich verhalten hätte. Wäre ich klug gewesen, mutig und ein Widerständler? Oder hätte ich im Dritten Reich meinen Mund gehalten, Eltern und Kinder geschützt und leise mein Tagwerk vollbracht? Ich weiß es nicht. Und weil ich es nicht weiß, darf ich denen keinen Vorwurf machen, die still gelebt, mitgemacht oder sogar ihr Leben genossen haben. Sie haben ihre stille Schuld und ihr Gewissen vor Gott - ich habe meins. Meins sagt: Hinterher weiß man vieles besser. Darum richte ich nicht über die, die wenig gewusst haben oder nicht so viel wissen wollten. Nur eins erwarte ich: das wir alle, Junge und Alte, es heute besser machen, auf die Straßen gehen und laut dagegen sind, wenn welche in düsteren Zellen wieder nach dem „Führer“ rufen. Richtig führt nur, wer Gott über alle Dinge fürchtet.