hr4 ÜBRIGENS
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Von der Stärke der Schwachen

Von der Stärke der Schwachen

Alle reden vom Glück. Nein, fast alle. Manche sagen nicht Glück, sondern Gnade. Ein Riesenwort ist das, als passe es gar nicht richtig in meine kleine Welt. Vielleicht nimmt man das Wort Gnade nicht gern in den Mund, weil es zu groß ist, zu sperrig. Aber heute darf ich es mal, am Anfang des Jahres. Ich leihe mir das Wort von Paulus, dem Apostel. Der hat aufmerksam gehört, was Gott ihm persönlich sagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, hat Gott zu Paulus gesagt. Und dann verspricht Gott: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (Neues Testament, 2. Korintherbrief Kapitel 12, Vers 9, Jahreslosung für das Jahr 2012). So ein schöner Satz, und tonnenschwer. Das ist fast nicht zu leben, was Gott sich hier wünscht: Lass dir an meiner Gnade genügen; und wenn du dich schwach fühlst, mache ich dich erst recht stark.

Das kann man nicht glauben, das muss man fühlen. Es gibt Sätze, die klingen richtig, scheitern aber schon bei der nächsten Krankheit oder dem nächsten Fehler. Man würde das gerne glauben - aber dann will man doch wieder groß und stark sein wie Kinder, die es nicht abwarten können, berühmt und mächtig zu sein. Viele werden aber nicht berühmt und mächtig. Auch Paulus ist ein kleiner, kranker Mann. Er zieht von Ort zu Ort und erzählt von Jesus. Manchmal wirft man ihn ins Gefängnis. Sich selbst hat Paulus gar nicht lieb; fühlt sich unansehnlich, fast hässlich. Und eben krank. Da wird man nicht mächtig und strahlt nicht vor Glanz. Da wird man eher ausgelacht oder links liegen gelassen. Zugehört haben ihm auch nicht viele.

Aber Paulus ist stark. Genauer gesagt: Gott ist stark in ihm. Er hat es mir versprochen, sagt sich Paulus, wenn er traurig ist, im Gefängnis sitzt oder wenn ihm der Körper weh tut. Ich bin schwach, sagt sich Paulus, aber ich bin nicht ohnmächtig oder hoffnungslos. Ich kann immer noch reden, beten, vielleicht singen - und vor allem: Auch Schwäche könnte seine Gnade sein. Ich werde jedenfalls nicht hochmütig. Und ehre auch Menschen, die nicht berühmt und mächtig sind. Das ist ja die größte Stärke: wenn man Schwache achtet und ehrt.