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Olschewski, Gudrun

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

Süßer die Glocken

Süßer die Glocken

Man mag es kaum glauben und sieht es ihr auch nicht unbedingt an: Sie hat gerade ihren 600. Geburtstag gefeiert. Für ihr Alter ist sie gut in Schwung. „Maria“ heißt die große Glocke in unserem Kirchturm. Ihr Äußeres hat sie über die Jahrhunderte kaum verändert: 58 Zentimeter misst sie und bringt stolze 220 Kilo auf die Waage, kein Wunder bei einem Bauchumfang von über zwei Metern. Etwas eintönig ist sie schon. Jeden Tag um 17 Uhr stellt sie das unter Beweis, samstags etwas später, und sonntags sowieso.

Zusammen mit drei Schwestern wohnt sie im Turm unserer Kirche. Eine ist noch älter als sie, eine andere halb so alt. Und dann gibt es da noch das Nesthäkchen, das gerade mal 50 geworden ist. Gemeinsam machen die vier Musik, aufeinander abgestimmt, harmonisch im Klang. Und sie tun das inzwischen fast von alleine. Kein Konfirmand muss mehr an ihrem Seil ziehen, um sie in Schwung zu bringen. Heute werden die vier funkgesteuert über eine Zeitschaltuhr, voll automatisch.

Ich freue mich, dass die Glocken trotz ihres hohen Alters so zuverlässig und regelmäßig erklingen, in der Regel jedenfalls. Das gibt meinem Tagesablauf Struktur. Sie zeigen mir an, was die Stunde geschlagen hat. Auch wenn sich der eine oder andere schon mal über ihren „Lärm“ geärgert hat.

Wer genau hinhört, merkt, dass die vier nicht immer dasselbe tun. Sie haben unterschiedliche Aufgaben. Die größte und tiefste läutet, wenn ein Mensch gestorben ist. Wenn zwei Menschen heiraten wird „Maria“ in Schwung gebracht zusammen mit ihrer nächst größeren Schwester. Und auch beim „Vater Unser“ ist sie wieder zuhören und lädt mich ein, mit zu beten, im Gottesdienst oder dort, wo ich gerade bin, und bei dem, was ich gerade tue.

Gemeinsam erklingen die vier Schwestern nur zu ganz besonderen Zeiten, in der Heiligen Nacht zum Beispiel. Nicht umsonst heißt es: „Süßer die Glocken nie klingen“ als zur Advents- und Weihnachtszeit.