Riga
Ich habe meine Freundin gern zu Gast. Sie reist viel, kommt in ferne fremde Länder und sie erzählt spannend von dem, was sie erlebt hat. Wenn ich ihr zuhöre, bin ich immer beteiligt an dem, was ihr begegnet ist. In Gedanken bin ich mit ihr unterwegs. Ihre letzte Reise führte sie ins Baltikum. Und Riga mit seinen architektonischen Schönheiten aus vielen Jahrhunderten hat sie besonders begeistert.
Aber es gab in Riga ein Erlebnis, von dem sie ganz leise erzählte. Meine Freundin sucht seit langem in diesen alten Städten mit einer langen jüdischen Vergangenheit nach Spuren, die oft nur mühsam zu finden sind. Sie fragt, ob es die Synagoge noch gibt, vielleicht den jüdischen Friedhof.
Sie muss manchmal weite Wege gehen, bis sie eine Antwort bekommt, bis sie die Spuren der Vergangenheit findet. In Riga fand sie die letzte vorhandene Synagoge. Und sie fand auch einen kleinen verhutzelten Mann, der uralt schien. Es gelang ihr, mit ihm ins Gespräch zu kommen, und er erzählte ihr ein wenig von diesem Haus. Das ging nur mühsam, denn er suchte immer wieder nach deutschen Worten, die wohl noch in ihm ruhten, die er aber lange lange nicht benutzt hatte.
Als sie sich voneinander verabschiedeten, fragte er sie, wo sie denn herkomme. Als sie Frankfurt nannte, seufzte er, wandte sich ab und sagte dann: "Frankfurt – da hatte ich eine ganze Familie." Und nahm sie in die Arme. Meine Freundin wird an Riga mit seinen architektonischen Schönheiten zurückdenken. Aber der alte Mann vor der Synagoge von Riga, er wird nie wieder aus ihrem Gedächtnis verschwinden.