Herzenswünsche….
Stolz führt mich die Frau in ihr gemütliches Wohnzimmer und bittet mich, Platz zu nehmen. Als mein Blick auf eine wunderschöne alte Standuhr mit zwei schweren Gewichten fällt, sagt sie. „Die steht er seit kurzem da, obwohl sie schon lange mein Herzenswunsch war“. Einen „Luxuswunsch“, wie sie ihn nennt. Eine mechanische Standuhr zum Aufziehen mit dem Glockenschlag von Big Ben. „Immer und immer wieder habe ich mir es ausgemalt, wie das gleichmäßige Ticken den Raum füllt und Geborgenheit verbreitet. Mir diesen Wunsch zu erfüllen, das habe ich mich lange nicht getraut,“ stellt sie fest. „Ich hatte immer irgendwie Hemmungen.“
Woher das kommt, das weiß sie nicht so genau. ‚Bescheidenheit ist eine Zier‘. Das habe ich schon als Kind gelernt. ‚Je mehr er hat, je mehr er will‘, so hat meine Großmutter oft zu mir gesagt.“ Die Erfüllung ihres Herzenswunsches hat sie immer wieder verschoben. Erst auf ihren 50. Geburtstag, dann auf „irgendwann, später vielleicht.“ Vor zwei Wochen ist sie 58 geworden und seither steht die Uhr ihrer Träume dort in der Ecke neben dem großen Fenster, so wie sie es sich immer gewünscht hat. Ihr Mann hat sie ihr geschenkt, weil beide plötzlich zu spüren bekamen, dass das Leben endlich ist. Wenige Wochen vor ihrem Geburtstag stand nämlich unvermutet der Verdacht auf eine unheilbare Krankheit im Raum. „Eine vorläufige Diagnose, die sich dann ‚Gott sei Dank‘ nicht bestätigt hat“, erzählt sie mir.
Ihr Mann fand, dass Leben zu zerbrechlich und zu kostbar ist, um Wünsche ständig auf „Später“ zu verschieben. Denn aus dem „Später“ kann unvermutet ein „zu spät“ werden. „Bei jedem Glockenschlag werde ich daran erinnert, wie schön es ist, zu leben,“ sagt sie, „den Augenblick auszukosten, im Hier und Jetzt zu leben. Mein Leben war von Arbeit und Pflichterfüllung geprägt. Inzwischen habe ich gelernt, meine eigenen Wünsche und Sehnsüchte wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Ich habe sogar wieder angefangen, Klavier zu spielen.“ Wünsche und Sehnsüchte sind ein Zeichen von lebendig sein. Auch wenn man nicht alle erfüllen kann, es lohnt sich, ihnen zu trauen. Goethe hat sie zurecht so genannt: „Vorboten der Fähigkeiten, die in uns liegen.“ .