hr4 ÜBRIGENS
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Die Geschichte vom goldenen Rahmen

Die Geschichte vom goldenen Rahmen

Der goldene Rahmen springt mir ins Auge. Er ist klein, leuchtet und fällt auf. Es ist aber kein Bild im Rahmen, sondern ein Spruch. Der hat mir das Leben gerettet, sagt Klaus, als ich nach dem goldenen Rahmen an der Wand frage. Er liest mir den Spruch laut und ernst vor: Das Wertvollste am Menschen ist seine Fähigkeit zu verzeihen. Das hat mir das Leben gerettet, sagt Klaus nochmal. Als wir dann sitzen und Kaffee trinken, erzählt er, wie er vor Jahren etwas gestohlen hat. Seinem Nachbarn. Einen Moment war er allein in dessen Stube und sieht einen Umschlag mit Geld, halb unter der Zeitung. Klaus überlegt kurz, steckt plötzlich das Geld ein und macht sich davon in die eigene Wohnung. Sein Herz klopft heftig. Es passiert aber nichts. Tagelang, jahrelang. Das Geld ist bald weg, die Schuld bleibt auf der Seele. Auch jahrelang. Viel später hat Klaus genug eigenes Geld. Und der Tag kommt, an dem seine Seele es nicht mehr erträgt. Er wohnt nun woanders. Also steckt er Geld plus Zinsen in einen Umschlag und schickt es dem Nachbarn mit der Post. Nur einen Satz schreibt er mit der Maschine dazu: Ich bitte um Verzeihung. Lange geschieht nichts. Eines Tages kriegt Klaus aber doch Antwort. Vom ehemaligen Nachbarn. Der hatte es wohl immer geahnt und schreibt Klaus mit der Hand: Danke; wenn Sie es damals gebraucht haben, verzeihe ich Ihnen.

Das hat mir das Leben gerettet, sagt Klaus jetzt zum drittenmal und meint seine Seele. Sofort hat er damals seine Maschine genommen, schönes weißes Papier eingelegt und geschrieben, was er mal gelesen hat: Das Wertvollste am Menschen ist seine Fähigkeit zu verzeihen. Dann noch den goldenen Rahmen gekauft, den Spruch eingerahmt und aufgehangen. Sichtbar für alle, fühlbar für sich. So war das, sagt Klaus und sieht leichter aus. Das Schuldgefühl war furchtbar. Schlimmer als jede Wunde am Körper. Dann gibt’s nur eins: Um Verzeihung bitten und hoffen, dass man es bekommt. Oder verzeihen, wenn dich jemand darum bittet. Gott will nicht, dass wir Schuld aufrechnen wie Krämerseelen, sagt Klaus. Er will uns großherzig. Wer verzeiht, heilt doppelt: den anderen und sich selbst.