hr4 ÜBRIGENS
hr4
Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Das müssen Sie doch verstehen

Das müssen Sie doch verstehen

Krimis im Fernsehen gehen immer so: Am Anfang ist Leugnen. Ich war’s nicht, sagt der eine. Ich auch nicht, sagt der nächste, und so weiter. Aber die Kommissare lassen nicht locker. Langsam wird der Kreis der Verdächtigen kleiner. Bis einer übrig bleibt. Der oder die sitzt im Verhörraum, die Kommissare gegenüber. Der Beschuldigte schwitzt, redet sich heraus oder schweigt. Schließlich wird er überführt. Und redselig, beschreibt seine Tat ausführlich. Alle Einzelheiten bringt er ans Licht. Kann gar nicht mehr aufhören zu reden von Umständen, Zwängen und Gründen. Es musste alles so kommen, sagt der Schuldige über seine Schuld. Und endet dann mit dem Satz: Das müssen Sie doch verstehen, Herr Kommissar.

Schuld kann man nur tragen, wenn sie jemand versteht. Ist der Täter überführt und die Schuld offensichtlich, kommen zunächst Erklärungen und Rechtfertigungen. Man leugnet die Schuld, solange es geht. Wer aber überführt ist, wird redselig. Verweist auf Umstände, Verwicklungen und meist darauf, dass doch der andere angefangen hat. Dadurch wird die Schuld nicht kleiner. Aber wenigstens verstehen soll sie jemand.

Schuld, die jemand versteht, wird leichter. Schuld wird nicht kleiner, aber leichter. Ich kann sie besser tragen. Sie drückt nicht zu Boden, erstickt mich nicht. Ich bin immer noch schuldig, kann aber besser gerade gehen, muss nicht kriechen. Auch wenn es kein Verzeihen gibt, ist es hilfreich, Schuld zu gestehen. Und andere um einen Hauch Verständnis zu bitten. Verständnis ist keine Entschuldigung. Nur eine Erleichterung. Das weiß Gott. Und bittet mich, Schuld niemals zu leugnen. Damit tue ich mir keinen Gefallen. Schuld, die ich leugne, wird nur größer. Manche Täter, die keiner entdeckt, leiden Jahrzehnte an einer Schuld, die sich in ihre Seele frisst wie ein Ungeheuer. Bis sie es dann, eines Tages, nicht mehr ertragen und doch gestehen. Auch Schuld, von der nur ich weiß, wird größer. Lieber gestehen, Gott oder der Welt oder beiden. Und hoffen, dass die Seele so etwas leichter wird.