hr2 ZUSPRUCH
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Flicker, Steffen

Eine Sendung von

Schulleiter der katholischen Schule Marianum Fulda und Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Fulda

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Ein Scherbe wird zum Spiegel.

Von Balken und Splittern

„Das hätte mir nicht passieren können!“ Manchmal kommt mir dieser Satz in den Sinn, wenn ich mich über ein Missgeschick eines anderen Menschen aufrege. Pannen kommen nun einmal im Leben vor. Aber ich möchte daran nicht schuld sein. Es ist wohl allzu menschlich, einen Fehler eher bei anderen Menschen zu suchen als bei mir selbst. Wer möchte schon gerne die Ursache für eine Unzulänglichkeit oder für ein Fehlverhalten sein? Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir uns nicht gerne selbst belasten wollen. Dann kann es ein menschlicher Reflex sein, von sich abzulenken. 

Nicht tugendhaft: von sich selbst ablenken

In der Bibel ist die Rede von einem "Splitter", der mir im Auge meines Gegenübers negativ auffällt. Vor lauter Fokussierung auf diesen Splitter vergesse ich, dass auch ich Fehler habe. Jesus spricht sogar von einem „Balken“, der mir die eigene Sicht versperrt. Statt auf andere Menschen zu verweisen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit erst einmal auf den "Balken" im eigenen Auge richten. (vgl. Lk 6, 39-45) Sich also selbst prüfen: Wo ist eigentlich mein Anteil für ein Problem? Was habe ich damit zu tun?

Vor der eigenen Tür kehren

Bei sich selbst anfangen! Das ist wohl die Aufforderung, die mit diesem Bild verbunden ist. Auch wenn es einfacher ist, sich an anderen Menschen abzuarbeiten. Aber das ist oft nur ein Ablenkungsmanöver. Denn wenn ich zuerst die Fehler bei anderen suche, muss ich mich ja nicht mehr mit mir selbst auseinandersetzen. Das ist natürlich bequemer. Ich erspare mir die Konfrontation mit mir selbst. Damit bin ich „fein raus“. Aber damit mache ich es mir sehr einfach.

Für mich ist das Bild vom "Balken" und vom "Splitter" immer wieder ein Impuls, mich zunächst selbst kritisch zu reflektieren, bevor ich anderen Menschen Vorwürfe mache und allzu vorschnell urteile. Was ich dabei möglicherweise übersehe, ist der Umstand, dass ich zwar von mir selbst Last abnehme, dafür aber einen anderen Menschen belaste - schlimmstenfalls sogar zu Unrecht.

Empathie und Einfühlungsvermögen

Da kann es hilfreich sein, wenn ich mir überlege: Wie würde es mir mit einem solchen Vorwurf gehen? Wenn ich versuche, mich in die Lage meines Gegenübers hineinzuversetzen, dann gewinne ich sicherlich einen umfangreicheren Blick auf ein Problem. „Sich auf den Stuhl des anderen setzen“ – das kann eine Haltung sein, die mir hilft, besser zu urteilen.

Es muss ja nicht gleich ein Balken sein, der meine Sicht auf die Dinge versperrt. Aber dieses Bild verdeutlicht, in welchem Ausmaß ich manchmal etwas ignorieren kann. Und wie schnell ich manchmal im Vorverurteilen bin. So entstehen schließlich Vorurteile. Vielleicht kann das ein Denkanstoß für mich heute sein: Bei sich selbst anfangen!