hr2 ZUSPRUCH
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Biester, Claudia

Ein Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg

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Vom Zauber der Ritzen und Lücken

Der August neigt sich dem Ende zu. Beim Einkaufen liegen im Sonderangebotskorb die letzten Sonnencremes und nebenan sind schon die Lebkuchen aufgebaut – das süße Versprechen auf kommende Gemütlichkeit. Es ist eine „Zwischenzeit“. Noch ist nicht Herbst, aber es ist auch nicht mehr lange Sommer.

Die "Zwischenzeit" zwischen den Jahreszeiten

Es gibt Tage, da ist es morgens so kühl, dass ich lieber eine Strickjacke überziehe. Dann wieder schwitzt man noch ganz schön. Als wüsste die Jahreszeit nicht so ganz, wie sie es will. In den Schaufenstern liegen Stiefel neben Flip-Flops und im Café bestellen manche noch Eiskaffee, andere sind schon fröhlich bei Kürbissuppe angekommen. Der Übergang. Die Zwischenzeit. 

Auch im Leben gibt es Zwischenzeiten - Wechsel und Neuanfänge

Solche Zwischenzeiten gibt es nicht nur im Kalender, sondern auch im Leben. Es sind die Passagen, Übergänge, deren Ausgang noch nicht genau abzusehen ist. Zum Beispiel dann, wenn man seinen Job wechselt, der eine bald endet, der Neuanfang aber noch aussteht. Oder wenn vor einem Umzug die Wohnung voller gepackter Kisten steht, der Abschied da ist, aber das Ankommen noch auf sich warten lässt. Diese Momente, in denen etwas im Inneren schon nicht mehr trägt und das Neue sich noch nicht zeigt.

Da, wo noch nicht alles entschieden ist, kann Neues entstehen

„Dazwischen ist es immer am spannendsten“, sagte eine Freundin zu mir in einer Jobwechsel-Situation. Diese Zeiten sind oft kostbar, schade, einfach über sie hinwegzugehen. Denn da, wo noch nicht alles entschieden ist, wo noch Spielraum bleibt, wo wir nicht einfach weitermachen können oder müssen wie immer – da kann Neues entstehen. In den Ritzen und Lücken zwischen zwei Zeitabschnitten lässt sich Unerwartetes entdecken. Der Zauber des Zwischenraums. So wie ein sommerlicher Sonnenstrahl, der durch die Lücke in den Vorhänge fällt und einen Moment alles hell und klar erleuchtet.

Unterscheiden können: was kann ich tun und was liegt außerhalb meiner Möglichkeiten

Da verschiebt sich die Perspektive. Der Blick richtet sich nicht auf das große Ganze sondern auf den Augenblick. Nicht auf das Fertige, Endgültige, sondern auf das, was im Entstehen ist. Zögern, Sorge, Vorfreude, die Möglichkeit der Korrektur – all das gehört dazu. Und auch Hoffnung spielt eine große Rolle. Manche spüren: Nicht alle Möglichkeiten liegen in menschlicher Hand. Ich muss ausbalancieren: Was kann ich selbst beitragen, und was müssen andere dazu tun. Religiös gesprochen: Ich unterscheide, was Menschen tun können, was in ihrer Kraft und Kompetenz liegt und dem, was unverfügbar von Gott kommt.

Meister Eckhart, einem mittelalterlichen Mystiker sagte: „Gott ist ein Gott der Gegenwart."

Es ist also eine geistliche Frage: Bei Meister Eckhart, einem mittelalterlichen Mystiker, habe ich ein Wort gefunden. Es nimmt das Dazwischen in den Blick. Meister Eckhart schreibt: „Gott ist ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist.“

Für mich drückt sich darin ein Versprechen aus: Da ist Gott, der mich sieht. Mich, den Menschen in der Ungewissheit, was allein auch nur dieser Tag bringen wird. Mich, den Menschen, im Sommer, auf dem Weg in den Herbst und zwischen all dem, was ich selbst tun kann und dem, was ich nicht in der Hand habe. Gott, der mich sieht. Mich als den Menschen, der jetzt, in diesem Moment, wichtig ist.