hr2 ZUSPRUCH
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Kohl, Rüdiger

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN

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Plötzlich ist alles anders

„Die Liebe hört niemals auf. Sie erträgt alles und duldet alles“ (1. Korinther 13,8). An diese Worte des Apostels Paulus in der Bibel musste ich denken, als ich den Film „Plötzlich ist alles anders!“ gesehen habe im ZDF.

Ein Film mit dramatischem Inhalt

Er erzählt von Annika, 24 Jahre alt, und ihrem Partner Johannes. Sie lernen sich auf einem Reiterhof kennen und verlieben sich ineinander. Sie sind noch nicht lange zusammen, als im November 2019 plötzlich alles anders wird: Johannes hat einen Fahrradunfall. Seitdem ist er körperlich und geistig schwer eingeschränkt.

Nach einem Unfall wird alles anders

Annika pflegt ihn in ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie zieht ihm die Schuhe an, hilft ihm in den Rollstuhl, stützt ihn beim Gehen. Johannes kann nicht mehr deutlich sprechen. Er ringt darum, seine Bedürfnisse in kurzen Sätzen auszudrücken. Sie erledigt die Hausarbeit, steht nachts auf, wenn es ihm schlecht geht – und studiert zugleich Innenarchitektur. Manchmal wird ihr alles zu viel. Sie sagt: „Mein Alltag ist durchgetaktet. Da bleibt kaum Zeit für Freundinnen. Viele haben gesagt, wir können nicht mehr als Paar zusammenleben.“

"Eine Zukunft ohne Johannes kann ich mir nicht vorstellen"

Und doch hält sie an Johannes fest: Denn sie lieben sich. Diese Liebe erträgt viel. Sie ist nicht selbstverständlich. Wenn ich die beiden sehe, bin ich zwiespältig. Ich bewundere Annika, weil sie bleibt. Gleichzeitig frage ich mich: Warum bindet sich diese junge Frau an einen Menschen, der ihr wohl nie mehr ein Partner auf Augenhöhe sein wird? Und ich frage mich: Hätte ich so eine Liebe in mir? Annika sagt: „Eine Zukunft ohne Johannes kann ich mir nicht vorstellen.“

Die Liebe Gottes zu den Menschen ist grenzenlos

Im Hohelied der Liebe spricht Paulus zuerst von der Liebe Gottes zu den Menschen. Sie ist grenzenlos. Auch in schweren Zeiten bleibt sie. An Gottes Liebe zu glauben hat unzähligen Menschen Kraft gegeben. Sie kann helfen, an die Liebe zu glauben – auch dann, wenn sie sich anders gestaltet, als wir uns erträumt haben. Aber: Wir sind nicht berufen, uns selbst aufzugeben. Lieben heißt auch, Grenzen zu setzen. Auf sich selbst zu achten. Balance zu finden – zwischen Fürsorge für andere und Fürsorge für mich. Nur so kann ich dauerhaft für andere da sein.

Es ist wichtig auch sich selbst nicht zu vergessen

Ich glaube: Annika spürt das. Johannes ist fünf Stunden täglich in einer Tagespflege. In dieser Zeit kann sie lernen, Freunde treffen, einmal durchatmen. Auch ihre Eltern unterstützen sie. So ist ihre Liebe nicht nur Last, sondern gibt beiden Kraft. Ich sehe, wie liebevoll die beiden miteinander umgehen. Sie teilen trotzdem schöne Momente. Fahrradfahren etwa – früher Johannes’ Leidenschaft. Das klappt heute mit einem besonderen Anhänger, auf dem sein Rollstuhl steht. Annika fährt auf dem Fahrrad und zieht ihn. Beide genießen das. Ich wünsche Annika, dass sie weiterhin diese Balance findet. Dass sie Johannes liebt – und zugleich sich selbst nicht verliert.