hr2 ZUSPRUCH
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Baumgarten, Eva-Maria

Ein Sendung von

Katholische Gemeindereferentin im PV St. Michael Hohe Rhön

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Lass die Leute reden

„Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu. Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun. Lass die Leute reden bei Tag und auch bei Nacht. Lass die Leute reden, das haben die immer schon gemacht“, so singen „Die Ärzte“ seit 2008 in ihrem Song „Lasse redn“. Hier geht’s um Vorurteile, Verurteilungen, Lästereien und das vermeintliche Wissen, was die anderen besser oder schlechter tun. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich dieses Lied vor mich hinsinge, wenn ich etwas tue, was vielleicht mal wieder „typisch ich“ ist oder gegen irgendwelche Konventionen zu sein scheint.

Mit einem Schmunzeln im Gesicht stelle ich mir vor, wie Jesus diese Liedzeilen vor sich hinsingt, wenn er mal wieder gegen alle Regeln auf Menschen zugeht, die nach allgemeinem Verständnis seiner Zeitgenossen eigentlich missachtet gehören, mit denen man nicht spricht, geschweige denn sie berührt oder gar mit ihnen isst. Jesus scheint es egal zu sein, was die anderen sagen. Seine Handlungsmaxime ist die uneingeschränkte Liebe jedem Menschen gegenüber.

„Für wen haltet Ihr mich?“

Einmal jedoch fragt er seine Freunde: „Für wen halten die Menschen den Menschensohn?“ (Mt 16,13) Auf die Antworten der Jünger geht Jesus allerdings nicht ein und lässt es einfach stehen, dass die Leute ihn mit den Propheten Elija oder Johannes dem Täufer vergleichen. Viel entscheidender wird die Frage, die er anschließt: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16, 15) Jesus interessiert sich nicht für das Geschwätz der Leute, sondern er will in Beziehung gehen. Er fordert den Kreis seiner engsten Vertrauten heraus, sich ihrer Beziehung zu ihm bewusst zu werden. Er fordert ihr ganz persönliches Bekenntnis.

Wenn ich mich in die Lage der Jünger Jesu versetze, fühle ich mich schnell überfordert und doch reizt mich die Frage. Was hätte ich wohl geantwortet? Vor meinem inneren Auge ziehen die Bilder vorüber, wie Jesus einen Blinden heilt; mit der Frau, die gesteinigt werden soll am Boden kniet; wie er mit dem Zöllner Zachäus isst oder in der Synagoge predigt. Heiler, Wundertäter, Prediger, Integrationsfachmann, Sozialarbeiter, Revoluzzer - vielleicht fallen Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, noch weiter Beschreibungen für Jesus ein. All diese Worte klingen in mir nach, aber ich merke auch, dass sie den Nagel noch nicht auf den Kopf treffen. Sie lassen zwar Bilder entstehen, die aber vor allem durch Kunst und Tradition geprägt sind. Eine wirkliche Resonanz lösen sie in mir aber noch nicht aus. Vielmehr bleibt in mir der Eindruck, dass ich damit wohl am ehesten das Geschwätz der Leute wiederhole.

Was will Jesu von mir?

Jesus scheint mehr von mir zu wollen. Auch mit mir will er in Beziehung treten, und aus dem „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ wird die konkrete Frage an mich: „Wer bin ich für dich?“ Jetzt bin ich herausgefordert und nach meinem ganz persönlichen Bekenntnis gefragt. Weder bin ich Augenzeugin einer Spontanheilung, noch hat sich Jesus bisher beim mir zum Essen eingeladen - geschweige denn, dass er bei den von mir argwöhnisch betrachteten Nachbarn zu Gast gewesen wäre.

Also muss ich tiefer graben und nach meinen Erfahrungen mit Jesus Ausschau halten. Wie war das, als meine müde Seele in seiner Gegenwart neue Kraft geschöpft hat? Wo konnte ich meine Klage angesichts von Trauer und Tod hinausschreien? Wer hat meine stille Dankbarkeit und Freude über das Leben gehört? Heute ist Jesus für mich auf jeden Fall Tröster, Kraftquelle und Freund des Lebens. Was morgen sein wird, weiß nur er. Und bis dahin lass ich die Leute reden.