Hoffen ist kein Wunschkonzert
Gesprochen von Pfarrerin Claudia Rudolff
Er verliert fast alles. Dann kommt er heim und hat einen großen Gewinn. Davon erzählt Ernest Hemingway in: „Der alte Mann und das Meer“.
Der Fischer Santiago gibt die Hoffnung nicht auf
Vierundachtzig Tage hat er nichts gefangen, der Fischer Santiago. Das Kind, das ihm immer geholfen hatte, ist schon lange weg. Er ist auf sich allein gestellt. Und fährt trotzdem wieder raus, will sich etwas beweisen. Nämlich das, was er selber zu sich sagt: „Es ist dumm, nicht zu hoffen.“
Der Fang seines Lebens – und die Lehre des Verlusts
Das sagt er sich Tag und Nacht. Und tatsächlich: Er fängt den Fisch seines Lebens. Am fünfundachtzigsten Tag. Aber er ist alleine an Bord. Und der Fisch ist riesig. Er muss seinen Fang an der Schiffswand festbinden. Dort wird er von Haien gefressen. Santiago kehrt heim - mit nichts. Nur mit einem Skelett. Er fühlt sich vernichtet.
Bis der Fischer sieht, was er gewinnt. Das Kind ist wieder da. Sein Freund, sein Lebenshelfer. Erst bewacht der Junge seinen Schlaf nach dem Abenteuer, dann sagt er zum alten Mann: Ich bin stolz auf Dich; ich werde wieder mit Dir fahren; ich kann viel von Dir lernen. Der alte Mann ist glücklich, fast selig. Vor Freude schläft er weiter - wie im Paradies. Und weiß, dass er Recht hatte: Es ist dumm, nicht zu hoffen.
Hoffen im Alltag: Vom Wagnis des Lebens
Wir hoffen jeden Moment. Keinen Schritt machen wir, ohne zu hoffen: Dass es gut geht, unser Leben. Beim Einsteigen in Bus oder Bahn, im Wartezimmer, bei jedem Einkauf hoffen wir. Dass wir es richtig machen, dass wir Freude haben oder geben, dass andere uns mögen.
Es wäre dumm nicht, zu hoffen. Hoffnung stirbt nie. Sie verändert sich nur. Früher hoffte ich groß, weil meine Kräfte größer waren. Heute hoffe ich kleiner, aber nicht weniger schön. Dass ich den Tag in Würde bestehe. Dass ich möglichst niemandem zur Last falle. Dass Menschen mir gerne beistehen.
Ich darf mein Hoffen verändern
All das ist Hoffen darauf, dass es auch heute gut geht, mein Leben. Auch wenn es nicht nach Plan läuft. Hoffen ist kein Wunschkonzert. Ich darf mein Hoffen auch verändern. Und zugleich Gott bitten: Hilf mir, dass ich einverstanden sein kann mit deinem Willen.