Spielen – die andere Wirklichkeit
Von dem griechischen Philosophen Aristoteles ist ein Wort überliefert, das mir gut in diese sommerliche Ferienzeit zu passen scheint.
Er sagt: „Das Spiel ist ein Ausruhen, und die Menschen bedürfen des Ausruhens, weil sie nicht immer tätig sein können.“
Ich möchte heute Morgen diese Fährte des Aristoteles einmal aufnehmen. Und ich möchte fragen: Was hat es mit dem Spielen auf sich? Ist es wirklich so wichtig für uns, wie der Philosoph hier behauptet? Welche Rolle spielt das Spielen in unserem Leben?
Spielen in der Bibel?
Und weil Sie hier gerade eine christliche Morgenfeier hören, sollte neben der Meinung eines Philosophen doch wohl auch ein Wort der Bibel hier vorkommen. Und so viel möchte ich da schon einmal vorwegsagen: vom Spielen weiß die Bibel nur wenig. Spiel und Spielen kommt da so gut wie gar nicht vor. Und doch: ich bin auch in der Bibel fündig geworden. Da gibt es ein Wort, das vom Spielen handelt, auf das Sie jetzt schon gespannt sein können. Zunächst aber blicken wir erst einmal in das Buch unseres Lebens.
MUSIK: Astor Piazzola, Tango Suite / Andante, Yo-Yo Ma
Das Spielen gehört von Anfang an zu unserem Leben. Für Kinder ist es ganz selbstverständlich. Was Ernst ist und was Spiel – Kinder machen da meistens keine Unterscheidung. Ganz versunken können sie sich spielend in andere Wirklichkeiten begeben und sich selbst sogar verwandeln. Etwa in ein Tier oder in einen anderen Menschen. Und das ist dann für sie die wahre gegenwärtige Wirklichkeit.
Und sage dann bitte kein Erwachsener, vor uns stünde da keine wirkliche Prinzessin! Und sage auch keiner, das Spielzeugauto, das da durch die Wohnung flitzt, sei nicht das schnellste Auto der Welt und sein Besitzer nicht der größte Rennfahrer aller Zeiten!
Fantasie macht frei
Ja, ein Kind kann sich im Spiel vollständig verwandeln: „Ich bin Messi“ kann da eine kleine Fußballerin oder ein kleiner Fußballer sagen – und eine andere sagt dann vielleicht „Und ich bin Lamine Yamal“ – und so kicken die Superstars aus dem Fernsehen hier auf dem Spielplatz nebenan.
Und das Beispiel zeigt auch: Geschlechterfragen – Junge oder Mädchen, Mann oder Frau: im Spiel hat das weiter nichts zu sagen: Wer sich als ganz kleines Kind in einen Löwen verwandeln kann oder in ein kleines süßes Mäuschen, der und die kann dann, etwas größer geworden, auch in die Rolle eines konkreten anderen Menschen schlüpfen. Und der Fantasie sind dabei keinerlei Grenzen gesetzt. Das nenne ich ein Leben in wirklicher Freiheit! Die kindliche Fantasie kann sich eine ganze Welt erschaffen. Wie wunderbar ist das! Schade nur, dass den Erwachsenen diese Fähigkeit zu einem großen Teil abhandenkommt. Gottseidank aber meistens nicht auch die Lust am Spiel und am Spielen insgesamt. Spiel und Spielen kann nämlich lebenslang eine Quelle der Freude und der Erquickung sein.
MUSIK: Astor Piazzola, Tango Suite / Andante, Yo-Yo Ma
Die Art der Spiele, die auch Erwachsene spielen, lernen wir meistens schon in unserer Kindheit kennen. Es sind Gesellschafts- oder Gemeinschaftsspiele. Und wie die funktionieren, kann man grob am Beispiel von „Mensch ärgere dich nicht!“ erkennen. Die Spielenden bewegen sich in einem fest vorgegebenen Rahmen von Regeln. Der Würfel zeigt eine Vier: also kann der Spieler mit seiner Spielfigur vier Plätze vorrücken. Und mit ein paar weiteren festen Regeln ergibt das Spiel dann einen Sinn. Jede Spielerin möchte als Erste die eigenen Spielfiguren zu dem festgesetzten Ziel bringen. Und wem das gelingt, hat gewonnen.
Spielen erlöst von der Schwere des Lebens
Über das Regelwerk eines solchen Spiels kann man das viel kompliziertere Regelwerk des Lebens außerhalb des Spiels einfach hinter sich lassen. Hier gilt nur das Spiel – und die Welt da draußen kann man einfach vergessen. Was für eine Wohltat ist das! Was für eine Lust und Freude kann das sein! Einfach mal Abschalten. Nur im Jetzt leben. In diesem Moment des Spiels.
Ich erinnere mich an wunderbare Spielenachmittage. Sei es nun mit Kartenspielen wie Mau-Mau und Rommé oder auch mit Monopoly und mit Schach. Und von vielen Bekannten weiß ich, dass sie noch immer mit größter Lust sich vergessen können beim Spielen von Skat oder von Doppelkopf.
Man könnte vielleicht sagen: Beim Spielen können wir uns als erlöst erleben. Erlöst von der Schwere unseres Lebens. Im Spiel wird das Leben leichter.
MUSIK: Astor Piazzola, Tango Suite / Allegro, Duo Kvaratskhelia
Spiele gibt es unendlich viele. Aber ein Spiel gibt es da – so möchte ich einmal behaupten – das in unserer Kultur eine Sonderstellung einnimmt. Und das ist der Fußball.
Nicht nur die zweimal 11 Kicker, die da auf dem Rasen hin und her laufen, immer in dem Bestreben, den Ball im gegnerischen Tor zu platzieren – nicht nur diese 22 aktiven Sportler oder Sportlerinnen nehmen an diesem Geschehen lebhaften Anteil. Nein, am Spielfeldrand sind es oft hunderte, ja tausende Fans, die von diesen Bewegungen des Balles ergriffen werden. Mit Rufen und mit Singen, mit Jubel und auch mit Trauer tauchen sie ab in die Welt des Spiels.
Spiele geben Höhepunkte im Leben
Und dann gibt es da ja auch bei besonderen Spielen die Übertragung im Fernsehen. Bei internationalen Turnieren wie der Weltmeisterschaft können es Millionen, ja mitunter gar Milliarden von Menschen sein, denen jetzt nichts wichtiger ist als dieses Spiel. Und da entstehen dann mitunter Momente, an die man sich noch Jahrzehnte später deutlich erinnern kann. Tor – Tor – Tor! Mancher Moderator spricht dann mitunter sogar von einem Tor für die Ewigkeit. Und die Helden bei solchen Meisterschaften werden zu Kultfiguren, denen man sich in Dankbarkeit zutiefst verbunden fühlt.
Ein Ereignis, an das sich viele Fans der Eintracht Frankfurt noch immer gut erinnern werden, war der Sieg der Mannschaft im Finale der Europa League im Mai 2022. Und ich sehe noch immer die Fernsehbilder vor mir, wie die Mannschaft dann in Frankfurt einzog. Die ganze Stadt war ausser Rand und Band. Ein Jubel ohne gleichen. Es war eine Riesenprozession!
Ganz sicher zählen solche Momente im Kontext von Spielen für viele Menschen zu den Höhepunkten ihres Lebens. Was doch der Fußball alles kann! Ich bin immer wieder fasziniert davon.
MUSIK: Astor Piazzola, Tango Suite / Allegro, Duo Kvaratskhelia
Was wichtig ist und was unwichtig, was Wahrheit ist und was Schein, was Spiel ist und was Ernst – manchmal lässt sich das gar nicht so einfach sagen.
Fest steht nur: das Spiel und das Spielen kann für Menschen von allergrößter Bedeutung sein. Nicht nur Sportler und ihre Fans wissen davon ein Lied zu singen, sondern auch Künstlerinnen und Künstler aller Kunstgattungen und Kategorien.
Aber eben auch die Bibel!
Wie ich Ihnen ja schon zu Beginn gesagt habe: die Bibel weiß insgesamt wenig von spielenden Menschen.
Aber da gibt es eben doch ein Wort beim Propheten Sacharja im Alten Testament (Sacharja 8,4+5). Und das ist für mich so kostbar, dass uns unter dem Strich dann doch nichts fehlt.
Der Prophet verspricht ein gutes Leben
Der Prophet tröstet die Israeliten, die nach Babylon ins Exil geführt wurden. Und er macht seinen unglücklichen Brüdern und Schwestern Mut und sagt: Ihr werdet nach Jerusalem, auf den Berg Zion, zurückkehren können. Und da werdet ihr ein gutes Leben haben.
Und wie beschreibt der Prophet das Leben, in dem sich die Hoffnung von Generationen vorher erfüllen soll? Wie wird das Leben der Erlösten gesehen? Der Prophet sagt es so:
So spricht der HERR Zebaoth:
Es sollen hinfort wieder sitzen auf den Plätzen Jerusalems alte Männer und Frauen, jeder mit seinem Stock in der Hand vor hohem Alter, und die Plätze der Stadt sollen voll sein von Knaben und Mädchen, die dort spielen.
Spielen statt Etwas-Leisten-Müssen
Das also ist das Bild vom zukünftigen Heil. Und in diesem Bild spielt das Spielen eine besondere Rolle.
Gott verspricht ein Leben, wo es Raum gibt für Alte und für Junge. Alle Generationen sollen auf den Plätzen Jerusalems sein können.
Interessant aber, dass da nicht die Rede ist von der arbeitenden Bevölkerung. Sondern, es sind die Alten und die Jungen: in ihnen nimmt das zukünftige Heil Gestalt an.
Die Alten, indem sie einfach da sitzen mit ihren Stöcken. Sie schauen und beobachten, aber des Lebens Ernst – wie es manchmal heißt – das Arbeiten und das Etwas-Leisten-Müssen, damit haben sie, die Alten, nichts mehr zu tun.
Und da sind die Jungs und die Mädchen. Auch sie sind Freie und können auf den Plätzen einfach spielen.
Eine entspannte Zukunft
Das Spielen der Kinder wird so zu einem Hoffnungsbild für das erlöste Leben, das Gott allen Menschen für die Zukunft verspricht. Das zwecklose Spielen, das Vergessen von allem, was nicht das Spiel betrifft – solches Spielen wird von dem Propheten zum Ausdruck zukünftiger Herrlichkeit, zum Kraftbild für alle, die unter der Mühe ihres gegenwärtigen Alltags leiden müssen.
In Gottes Zukunft – so lässt Gott durch den Propheten sagen – soll es allen gehen wie diesen Alten und wie diesen Jungen: alle Menschen sollen frei werden von den Fesseln einer allzu ernsten Wirklichkeit.
Gott im Spiel erfahren
Die Muße der Alten und das Spielen der Kinder sie sind Mosaiksteine in dem großen Bild von Gottes zukünftigem Heil, wie es auch andere Propheten der Bibel beschrieben haben – jeder auf seine Art und Weise.
Alle Mosaiksteine zusammen ergeben das schöne Bild einer Zukunft, zu der wir alle unterwegs sind, aber die auch schon jetzt begonnen hat.
Und für den Propheten Sacharja heißt das: An dem Nichts-Tun der Alten und an dem Spielen der Kinder können wir etwas davon erkennen. Im Entspanntsein und im Spielen lässt sich tatsächlich Gott erfahren. Darum also: Auf, zum nächsten Spiel!
Musik: Astor Piazzola, Revirado, Amarcord