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Wiesheu, Annette

Ein Sendung von

Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt

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Eine Heilige, die verbindet

Vor mehr als dreißig Jahren habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in Breslau in Polen gemacht. Ich habe dort bei einer kirchlichen Jugendbildungsstätte mitgearbeitet, wir haben viele Begegnungen von polnischen und deutschen Jugendlichen organisiert. Nach der Wende war der Wunsch, sich besser kennenzulernen, Verständigung und Freundschaft zu fördern. Wir haben bei diesen mehrtägigen Treffen immer einen Ausflug nach Trebnitz gemacht, eine kleine Stadt nördlich von Breslau. Trebnitz ist ein Wallfahrtsort, verehrt wird dort die heilige Hedwig, ihr Grab ist in der dortigen Kirche. Heute, am 16. Oktober, begeht die katholische Kirche den Gedenktag dieser Heiligen.

Eine überaus tüchtige Landesmutter

Hedwig lebte im Mittelalter, sie stammte aus Bayern, aus der Familie der Grafen von Andechs. Mit nur zwölf Jahren heiratete sie Herzog Heinrich von Schlesien aus der polnischen Familie der Piasten. Sie wurde Mutter von sieben Kinder – und eine überaus tüchtige Landesmutter: Tatkräftig unterstützte sie die Politik ihres Mannes, wenn es darum ging, Klöster zu gründen und zu fördern. Auf ihr Betreiben wurde das Kloster in Trebnitz gegründet, das erste Frauenkloster in Schlesien. 

Hat selbst ein sehr bescheidenes Leben geführt

Vor allem hat sie als Wohltäterin für die Bedürftigen in ihrem Land gesorgt – und selbst ein sehr bescheidenes Leben geführt. Meist soll sie barfuß gelaufen sein und nur Wasser statt Wein getrunken haben. Sie hatte einige Schicksalsschläge zu bestehen: Von ihren sieben Kindern starben fünf, noch bevor sie erwachsen waren. Im Jahr 1238 wurde sie Witwe, drei Jahre später kam ihr ältester Sohn in einer Schlacht ums Leben. In ihren letzten Lebensjahren lebte sie im Kloster Trebnitz, wo sie 1243 starb. 

Die Menschen in Schlesien verehren sie seit Jahrhunderten

Bereits 25 Jahre später ist Hedwig heiliggesprochen worden, ihr Grab zog viele Pilger an, die Menschen in Schlesien verehren sie seit Jahrhunderten als ihre Schutzpatronin. In den vergangenen Jahrzehnten kam noch etwas anders hinzu: Hedwig wurde zur Schutzpatronin der deutsch-polnischen Versöhnung. Vor fast 60 Jahren, im November 1965, schrieben die polnischen Bischöfe einen Brief an ihre deutschen Amtsbrüder. Sie erinnern an die vielen schmerzvollen Ereignisse der deutsch-polnischen Geschichte, vor allem an den Zweiten Weltkrieg, die brutale deutsche Besatzung, die Verbrechen des Holocaust auf polnischem Boden, aber auch an das Leid der deutschen Vertriebenen.

„Wir vergeben und bitten um Vergebung

Und sie schildern auch die Zeiten guter Beziehungen – und nennen ausdrücklich die heilige Hedwig: dass sie aus Bayern kam, aber im damals polnischen Herzogtum Schlesien wirkte, sie vermutlich sogar Polnisch lernte, und sie von Polen und Deutschen gleichermaßen verehrt wird. Der Brief gipfelt in dem Satz: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. 20 Jahre nach dem Ende des Kriegs, der gerade über Polen so viel Leid brachte, ist der Brief mit diesem Satz eine beeindruckende Geste des Willens zur Versöhnung. 

Dankbar für dieses Geschenk der Versöhnung 

Als ich vor über 30 Jahren als Freiwillige in Polen war, haben wir auch unter den Jugendlichen noch viel über die Vergangenheit gesprochen, uns erzählt, wie unsere Eltern und Großeltern den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt haben. Vorbehalte gegen mich als Deutsche habe ich damals nicht erlebt, sondern im Gegenteil: sehr viel Interesse und Wohlwollen. Die letzten Jahrzehnte brachten Annäherung und Verständigung zwischen Deutschen und Polen – nach Jahrhunderten von Konflikten, nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Der Gedenktag der heiligen Hedwig heute kann auch ein Anlass, sich daran zu erinnern – und für dieses Geschenk der Versöhnung dankbar zu sein.