Martins Mantel
Heute, am 11. November, wird nicht nur um 11:11 Uhr in Köln die Karnevalszeit eröffnet – heute ist auch der Gedenktag des heiligen Martin, und viele Martins feiern ihren Namenstag. Früher habe ich mich beim Predigen mit dem heiligen Martin schwergetan. Martin als Soldat auf dem Pferd, der Bettler im Stadttor, der geteilte Mantel – all das schien mir zu abgenutzt, zu unoriginell. Ich hab damals Rat gesucht bei einem älteren Priester, der mir die Legende anders erklären wollte: Martin habe es auf seinem Pferd eilig gehabt, und weil der Bettler gedrängelt und an seinem Mantel gezerrt habe, habe er ihn kurzerhand mit dem Schwert abgeschnitten, um weiterzukommen.
War Martin zu Fuß unterwegs, auf Augenhöhe mit dem Bettler?
Die Erklärung holt den Martin ein bisschen vom hohen Ross der Heiligkeit, aber auch das half mir nicht weiter. Und sie kann so auch nicht stimmen: Die Begebenheit im Stadttor von Amiens wird erstmals von Martins Biograph Sulpicius Severus überliefert. Dort ist Martin zwar ein römischer Soldat – aber von einem Pferd ist nichts erwähnt. Erst in mittelalterlichen Darstellungen wurde das Pferd zum festen Bestandteil des verbreiteten Martinsbildes. Bei Sulpicius Severus ist Martin zu Fuß unterwegs. Er begegnet dem Bettler auf Augenhöhe – zwei Bürger aus dem Volk mit gleichen Rechten. Der Mantel, den Martin mit dem Bettler teilt, wurde ursprünglich mit dem griechischen Wort chlamys bezeichnet. Er gehörte zu Martins Soldatenausrüstung, bestand aus zwei Teilen und war oben mit wärmendem Schaffell besetzt.
Daher stammen die Ausdrücke „Kappelle“ und „Kaplan“
Auch die weitere Geschichte von Martins Mantel ist interessant. Unter den fränkisch-merowingischen Königen wurde er zu einer Reichsreliquie – das war mehr als hundert Jahre später. Ob es tatsächlich noch der zerrissene Mantel war, den der Heilige geteilt hatte, darf man bezweifeln. Historisch belegt ist jedoch: Die Herrscher nahmen den Mantel im frühen Mittelalter als Schutz mit in ihre Schlachten. Er wurde an besonderen Orten aufbewahrt. Zu dieser Zeit nannte man den Mantel nicht mehr griechisch chlamys, sondern im spätantiken Latein cappa. Den Ort, wo Martins Mantel-Reliquie verwahrt wurde, nannte man daher capella, und die Geistlichen, die den Mantel bewachten, capellani. Daher stammen auch heute noch die Ausdrücke „Kapelle" für ein kleines Kirchlein und „Kaplan" für einen Priester kurz nach seiner Weihe.
Er war auf dem Weg zur Taufe und lehnte Militärdienst ab
Dass Martins Mantel später als Unterstützung im Krieg verwendet wurde, ist ein makabrer Seitenwitz der Geschichte. Denn als Martin dem Bettler begegnete, war er als Taufbewerber bereits auf dem Weg, Christ zu werden. Bei der nächsten kriegerischen Auseinandersetzung nutzte er die Gelegenheit, den Militärdienst zu quittieren. Er trat vor den Kaiser und sprach: „Ich bin ein Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen." Blutvergießen war für ihn nicht damit vereinbar, Christ zu werden.
Martins Vorbild gibt viele Impulse
Das Beispiel Martins ist auch heute nicht nur ein Impuls, Armen auf Augenhöhe zu begegnen, sondern auch, sich für den Frieden einzusetzen – an den vielen Orten, an denen das sinnlose Blutvergießen immer noch weitergeht.