Die wunderbare Welt alter Sagen
Ich lese gerne Sagen. Ganz besonders solche, die in meiner Umgebung spielen. Ich wohne in Bad Orb, am Rande des Spessarts, und hier gibt es eine ganze Menge dieser alten Geschichten. Sagen sind aber mehr als nur Geschichten. In ihnen steckt ein Fünkchen Wahrheit, ein kleiner historischer Kern. Sagen erzählen aus vergangenen Zeiten, meistens mit einer eher vagen Zeitangabe irgendwo in der Vergangenheit. Oft erzählen sie von Übernatürlichem, von Magie und Zauberei – ähnlich wie die Märchen.
Die Sagen, die ich über Bad Orb gelesen habe, gefallen mir. Denn sie bringen eine Weltsicht mit, die mir sehr sympathisch ist: In ihnen geht es um das Gute. Um das Gute, das am Ende siegt, auch wenn vorher alles noch so aussichtslos erschien. Die Sage vom Madstein bringt das auf den Punkt: Da wird eine unschuldige junge Frau verurteilt, weil sie angeblich den Orber Kirchenschatz gestohlen hat. Sie beteuert ihre Unschuld und ruft die Gottesmutter selbst um Hilfe. Daraufhin fällt diese das Urteil neu und der wahre Täter wird gefunden und verurteilt.
Es gibt nur Gut oder Böse, nichts dazwischen
Sagen werben also auch für Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit. In den Sagen werden die Menschen belohnt, die gut handeln, die ehrlich und gerecht sind. Weniger gut kommen die weg, die sich schlecht verhalten, die betrügen, die ihren eigenen Vorteil suchen, die hartherzig sind und denen ihre Mitmenschen gleichgültig sind. Die Welt der Sagen ist schwarz-weiß: Jemand ist entweder gut oder böse, es gibt kein Dazwischen wie im echten Leben. Das scheint so viel einfacher.
Sagen sind sehr alte Geschichten. Manchmal so alt, dass ihre Sprache schwer verständlich ist mit ihren fremd klingenden Formulierungen. Und ihre Lebenswelt ist so ganz anders als heute. Und trotzdem glaube ich, dass Sagen auch heute noch aktuell sind. Ihre Botschaften mögen Jahrhunderte alte sein; veraltet sind sie nicht. Damals wie heute geht es um das menschliche Miteinander; darum, wie dieses Miteinander gelingen kann. Wie wir gut zusammenleben können, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen kann. Und oft fängt das bei jedem Einzelnen an. Bei meiner eigenen Verantwortung für mein Tun. Bei meiner Freiheit, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe. Nicht alles, aber doch manches liegt in meiner Hand. Und mein Handeln hat Auswirkungen auf andere.
Die uralten Geschichten zeigen mir, was damals wie heute Gültigkeit hat. Was menschliches Leben ausmacht. Worauf es ankommt und was wirklich zählt.