Die letzte Chilischote
Vor ein paar Tagen habe ich die letzte Chilischote aus dem Garten geerntet. Sie war schon etwas kleiner und nicht mehr ganz rot geworden, wie die anderen davor. Aber beim Kochen gibt sie noch die gleiche schöne Schärfe, die man nicht sofort im Mund schmeckt, sondern erst als sanfte Wärme in der Brust spürt.
Ich habe mich gefreut wie ein kleiner König
Dieses Jahr habe ich im Garten ein stillgelegtes Gemüsebeet wiederbelebt. Erst habe ich das Unkraut gejätet, dann habe ich Neues gepflanzt: eine Gurke, drei Tomatenpflanzen mit Früchten in verschiedener Größe, eine Paprikapflanze und die Chilischoten. In den trockenen Sommerwochen bin ich morgens zum Beet gegangen und habe geschaut, ob die Pflanzen Wasser brauchen. Im September konnten wir dann mit dem Ernten beginnen: Aus der Gurke war leider nichts geworden – vielleicht hat sie irgendein Ungeziefer befallen. Die Tomaten und die Paprika haben wir etwas zu spät eingepflanzt, die Ernte war eher spärlich. Aber die Chilischote war der Hit: Etwas mehr als 20 rot leuchtende Früchte habe ich von der Pflanze geerntet und mich darüber gefreut wie ein kleiner König.
Einige Verse sind wie Oasen
Dazu fiel mir bei der Morgenbetrachtung ein Vers aus dem Buch des Propheten Jesaja auf: „Wenn ihr willig seid und hört, werdet ihr das Beste des Landes essen." (Jes 1,19) Dieser Vers steht mitten in einer harten Gerichtsrede Gottes gegenüber seinem Volk am Anfang des Buches. In dieser Rede wird viel von gegenseitiger Verletzung gesprochen – auf beiden Seiten, bei Gott, aber auch bei seinem Volk. Doch es gibt auch einige Verse, die sind wie Oasen, und dieser gehört für mich dazu: „Wenn ihr willig seid und hört, werdet ihr das Beste des Landes essen."
Was durch respektvolles Wahrnehmen entsteht
Erstaunlich, dass in der Mitte des Verses das Hören steht. Dazu braucht es eine Grundbereitschaft: Ich muss mich etwas aus dem Getriebe herausnehmen und aufmerksam werden für das, was meine Ohren wahrnehmen: das Grundrauschen der Stadt, den Gesang eines Vogels im Garten, Kirchenglocken, Regentropfen in einer Pfütze. Aus solchem respektvollen Wahrnehmen und Hören kann ein Widerklang in mir entstehen, der auch der Erde zugutekommt. Dann bringt sie ihr Gutes hervor, das Menschen essen und genießen können. Es gelingt mir längst nicht immer, aber nach einem solchen Widerklang mit meiner Umgebung sehne ich mich.
War die letzte Chilischote Symbol für diesen Widerklang?
Die letzte Chilischote war für mich ein Symbol für einen solchen Widerklang zwischen mir und dem Garten. Die Chilischoten waren im Garten gewachsen als „Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit", wie es in einem Gebet in der Liturgie heißt. Jetzt sind sie zum Trocknen an einem Faden aufgehängt, und das Gemüsebeet soll auch im nächsten Jahr wieder bepflanzt werden.