Der Radiergummi – ein Alleskönner
gesprochen von Stephanie Mosler
„Mama, das ist doof. Ich kann das nicht!“ Das Matheblatt wird weggeschoben, der Bleistift fliegt quer über den Tisch und die Tränen kullern. Willkommen im neuen Alltag: Unsere Zwillinge sind in die Schule gekommen. Und mit ihnen ein ganz neues Kapitel – auch für mich als Mama.
Hausaufgabenzeit ist bei uns gerade ... sagen wir mal: emotionsgeladen. Frust, Tränen, hohe Ansprüche – und mittendrin der Radiergummi. Unsere Tochter liebt ihn. Ein Fehler? Verschreiben? Nicht schön genug? Weg damit! Neu anfangen! Perfekt soll’s nämlich sein.
Und trotzdem bleiben Spuren
Aber: Wir sind mittlerweile Radier-Profis – und kennen die Tücken. Denn auch wenn man radiert, bleiben Spuren. Furchen im Papier. Alte Linien, die einen wieder in die Schieflage bringen. Und mit Buntstiften? Noch schwieriger.
Ich sage jetzt öfter: „Lass es stehen.“ Auch wenn’s nicht perfekt ist. Auch wenn’s krumm ist. Auch wenn’s nicht den eigenen Ansprüchen genügt. Fehler dürfen bleiben. Sie gehören dazu. Und das auszuhalten – das ist gerade unser gemeinsames Lernfeld. Für meine Tochter. Und für mich.
Fehler gehören dazu – man darf sie sehen
Denn: Wer nicht ständig radiert, schaut genauer hin. Gibt sich mehr Mühe. Und lernt. Nicht nur in der Schule. Ich glaube: Wir alle haben unseren inneren Radiergummi. Wir würden gern manches ausradieren – Fehler, peinliche Momente, unangenehme Wahrheiten. Aber das Leben funktioniert nicht so. Radieren bringt uns oft nur zurück in alte Muster. Besser: durchstreichen, nachdenken, neu machen. Bewusster und dabei ehrlicher.
Manchmal sind es gerade die ausradierten Stellen, die uns zeigen, wie sehr wir gerungen haben, wie oft wir neu angesetzt, gezweifelt, gehofft haben. Sie erzählen von unserem Mut, es noch einmal zu versuchen und von der Kraft, nicht aufzugeben. Denn das Leben ist kein glattes, perfektes Blatt. Es ist voller Spuren, Geschichten, voller kleiner Kämpfe und großer Lernmomente. Und genau diese machen uns menschlich, echt und liebenswert. Vielleicht sind es gerade die Furchen, die Gott besonders zärtlich anschaut, weil sie zeigen, wie hat jemand gelebt, geliebt, gehofft, geweint, gelacht und immer weitergemacht hat.
Ich muss das nicht allein schaffen. Ich darf vertrauen: Gott nimmt mich an – mit meinen Ecken, Kanten und Fehlern. Und hilft mir, es neu zu versuchen. Er ist da. Und so dürfen wir vertrauen: Auch wenn das Blatt nicht glatt ist - es ist kostbar. Auch wenn die Linien krumm sind, sie erzählen unsere Geschichte. Auch wenn wir manchmal nur noch radieren wollen. Gott sagt: „Lass es stehen. Ich bin bei dir.“ Eine Lebensweisheit, die man gar nicht früh genug erlernen kann.