Das Gelnhäuser Männchen
In Gelnhausen steht die Marienkirche – ein imposanter Bau aus rötlichem Sandstein, errichtet in der ausgehenden Romanik. Gut achthundert Jahre alt. In ihren dicken Mauern haben Generationen gesungen, gefeiert und um Hilfe gebeten.
Ein Baufehler an der Gelnhäuser Marienkirche
Diese Kirche hat einen Baufehler: Sie ist zu kurz geraten. An der Nordseite sieht man es deutlich – rund 30 Zentimeter fehlen; deshalb sind auch nicht alle Friesbögen gleich groß. Was nun? Abreißen und neu bauen? Dafür reichten weder Zeit noch Geld. Die Asymmetrie wurde deshalb beibehalten.
Die Idee des Baumeisters Vingerhut
Aber dann hatte der Baumeister, Heinrich Vingerhut, eine Idee: Er ließ in den Stein ein kleines, nacktes Männlein hauen. Es hängt in diesem zu kurz geratenen Fries. Das Männchen stützt sich mit dem rechten Fuß auf den einen Bogen und drückt mit der linken Hand den Stein darüber – als wolle es die beiden Bögen auseinanderschieben und Platz schaffen. Als wolle es sagen: Eigentlich müsste man das hier geradebiegen, damit es passt. Das Männlein schaut mich an: „Hilfst du mir dabei?“ scheint es zu fragen.
Das Gelnhäuser Männchen als Hoffnungsgeber
Als ich vor ein paar Tagen mal wieder vor diesem Männlein an der Marienkirche stand, dachte ich: Was für ein schönes Zeichen mitten in der Adventszeit! Wie ein kleiner Engel zeigt mir dieses Männchen: Da geht doch noch etwas. Was krumm ist, kann wieder gerade werden. Ordnung kann zurückkehren. Selbst ein scheinbar unverrückbarer Stein ist nicht endgültig da, wo er jetzt liegt.
Dieses kleine Hoffnungsmännchen begleitet mich nun durch den Advent. Es macht mich darauf aufmerksam, dass nicht alles so bleiben muss, wie es gerade ist. Dinge, die sich verfestigt haben, kann ich noch einmal bewegen und zurechtrücken.
Gott eröffnet Möglichkeiten, wo wir nur Grenzen sehen
Auch kleine Gesten und Schritte können Ordnung schaffen – ein klärendes Gespräch, ein Wort der Versöhnung, ein Anfang, den ich wage. Gott eröffnet Möglichkeiten, wo wir nur Grenzen sehen. Daran erinnert mich diese Figur. Seit 800 Jahren sitzen in dieser Kirche immer wieder Menschen, die ja nicht sicher sagen können, ob ihr Gebet etwas bewegen wird. Aber die fest darauf vertrauen, dass es eben doch möglich ist. Gegen allen Augenschein.
Darauf will ich auch vertrauen. Für den Frieden in der Welt und für den in meinem Herzen. Das Gelnhäuser Männchen – dieser kleine Engel - hilft mir dabei. Vielleicht begleitet Sie dieser kleine Engel ja auch in diesen Wochen.