Irgendwo auf der Welt
Manchmal fällt mir Paula ein. Vor allem in der Adventszeit. Da habe ich sie damals kennengelernt. Paula war klein, sechzig Jahre alt und leicht gekrümmt. Das kam von ihrer Arbeit. Ein bisschen auch von ihrer Seele. Und sie hatte ein Lieblingslied. Das heißt: Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück. Sie hat es mir damals vorgespielt und mitgesummt. Mein Lieblingslied, hat sie gesagt. Und erzählte mir dann, warum.
Näherin in der Fabrik
Paula war Näherin. Erst war sie im Geschäft der Eltern. Das lief gut. Als der strenge Vater starb, musste Paula in der Fabrik nähen. Die lag im Nachbarort. Ein langer Weg. Morgens um sechs ging’s los. Abends um fünf Uhr war sie zu Hause. Wenn der Bus zu spät war, wurde es auch mal sechs Uhr.
Der Schlaganfall der Mutter
Daheim wartete ihre Mama mit dem Essen. Es ging gut mit den beiden. Aber dann - ein Schlaganfall der Mutter. Sie musste das Bett hüten. Und das Bett hütete sie. Paula wusste nicht mehr weiter; rechnete eine Weile: Die Rente der Mutter, die eigene Rente - reicht das für beide? Mit Ach und Krach. Also hörte Paula auf zu arbeiten. Kümmerte sich um die Mutter. Ein Pflegedienst half ihr. Eines Morgens lag die Mama tot im Bett. War ruhig eingeschlafen und einfach nicht mehr aufgewacht. Nur wenige gingen noch mit zum Grab.
Tagsüber in den Park oder zur Freundin - abends allein
Wie soll es jetzt weitergehen, fragte sich Paula besorgt? Es ging aber weiter. Wenn die Sonne schien, ging sie nachmittags in den Park. Der war nicht weit von ihrer Wohnung. Da gab es immer jemanden, dem Paula gerne zuhörte. Oder sie ging zu ihrer Freundin. Die beiden kennen sich von der Schule. Abends war Paula allein.
Der Plattenspieler und die Lieblingsplatte - ein kleines bisschen Glück
Sie hatte noch den alten Plattenspieler. Und ein paar Schallplatten. Die liebste davon legte sie manchmal auf. Und machte die Adventskerzen an, als ich bei ihr war. Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück. Dabei sang sie leise mit. Das ist mein ganzes Glück, hat sie damals zu mir gesagt. Hier, im Sessel sitzen und mitsingen. Wissen Sie, sagte sie mir, ich war nie stark, aber es war immer Kraft da. Seltsam, oder? Ich glaube, Gott hat mich sehr lieb.
