Die arme Witwe
Heute finden wir eine sehr bekannte Bibelstelle als Tagesevangelium, bei der sofort das Kopfkino angeht. Im Evangelium heißt es:
„In jener Zeit sah Jesus, wie die Reichen ihre Gaben in den Opferkasten legten.
 Dabei sah er auch eine arme Witwe, die zwei kleine Münzen hineinwarf.
 Da sagte er: Wahrhaftig, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr hineingeworfen als alle anderen. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss geopfert; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat ihren ganzen Lebensunterhalt hergegeben.“
Es ist fast nichts und doch alles: zwei kleine Münzen
Ich stelle mir die reichen Spender bildlich vor. Stolz und selbstsicher und gut gekleidet kommen sie in den Tempelbezirk. Man kennt sich, begrüßt den einen oder den anderen. Schenkt hier und da ein gönnerhaftes Lächeln oder einen frommen Blick. Der Glaube ist ihnen wichtig und auch die Werke sind es. Man muss sich sehen lassen und man hat ja tatsächlich etwas übrig für alle, denen es schlecht geht. Auch für die Witwen und Waisen, um die sich sonst keiner kümmert. Und die Reichen geben auch etwas: Ehrensache. Man ist ja kein Unmensch. Man gibt etwas, aber am Ende doch nichts von sich selbst. Nichts Existentielles. Sie gehen, wie sie gekommen waren. Für sie ändert sich nichts. Sie verzichten auf nichts. Sie bleiben, wer sie sind.
Wie anders hingegen die arme Witwe. Sie steht am Rand der Gesellschaft und wäre eigentlich selbst Gegenstand der Fürsorge. Sie trägt für alle sichtbar das arme Witwengewand. Ihr müsste geholfen werden, hatte sie doch in der damaligen Gesellschaft keinen rechtlichen Schutz und keine gesicherte wirtschaftliche Existenz. In einer Welt, in der Familie alles ist, gehört sie zu niemandem. In einer wirklich im eigentlichen Wortsinne patriarchalen Gesellschaft, kann sie ihre Interessen als Frau nicht alleine durchsetzen. Und trotzdem denkt sie an andere, trotzdem gibt sie alles für die anderen. Sie geht aufs Ganze und geht volles Risiko.
Jesus stellt uns die Witwe als Beispiel und Ideal vor Augen. Die Reichen und Wohlhabenden sind nicht böse. Sie werden auch nicht verzerrt dargestellt. Aber die Kluft zwischen ihnen und der Witwe ist riesig. Nicht die im Leben Erfolgreichen sind das erstrebenswerte Vorbild für Jesus, sondern diese Witwe, die nicht mehr als zwei kleine Münzen spenden kann und so doch alles gibt.
Jesus will keine halben Sachen
Und das passt ins Bild. Es zieht sich durch die gesamte Botschaft Jesu: Ich will keine halben Sachen. Ich will die ganze Bekehrung, den ganzen Menschen, die ganze Veränderung. Ich will völlige Umkehr. Ich möchte dich existentiell verwandeln und heiligen, ruft uns Jesus durch die Schrift zu. Von außen betrachtet geben doch beide etwas, die Witwe und der Reiche. Aber es geht Jesus um die jeweilige Lebenssituation und die innere Haltung. Und so wird jeder nach seinen Möglichkeiten in den Blick genommen und bewertet. Wo sehen wir uns dabei? Mit wem können wir uns identifizieren? Der Witwe oder doch eher dem Reichen? Was sagt uns selbst das Gleichnis?
Für mich wird hier ganz deutlich: Das Christentum fordert uns auch hier persönlich heraus: Auch von uns will er die ganze Bekehrung! Und dieser Anspruch lässt sich eben nicht theologisch wegreden, uminterpretieren oder abschwächen. Es gehört zur Wahrheit des Christentums, dass man den Satz „Bleib einfach so wie Du bist“, von Jesus nicht wirklich zu hören bekommt. Zugleich sollte man nicht sofort traurig davonziehen, wie der reiche Jüngling, der gefragt hatte, wie man denn in den Himmel kommt. Stattdessen kann man sich fragen: Wo habe ich schon einmal alles gegeben? Wem bin ich wirklich existentiell begegnet und welcher Sache habe ich mich voll verschrieben? Wo bin ich von meinen eigenen Interessen und Zielen abgewichen, um anderen zu dienen und wem habe ich schon existentiell geholfen und bin dabei auch ein Risiko eingegangen? Wo habe ich wirklich ein Opfer gebracht? Hier sind die Ansatzpunkte zu finden, um die zwei kleinen Geldstücke der Witwe auch bei uns in unserem Leben zu finden. Vielleicht haben wir sie auch schon mehr als einmal gespendet.