Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitermachen?
Im Buchladen gibt es diese Postkarte mit dem Spruch: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.“ Für mich ist die Botschaft klar. Wenn dich etwas zum Stolpern gebracht hat, dann rappel dich auf und mach weiter, als sei nichts gewesen. Das Leben muss ja weitergehen.
Immer weiter funktionieren
Ich mag diesen Spruch nicht. Ich finde, er hat etwas Unerbittliches. Hinter der Aufforderung steht ein Menschenbild, in dem es darum geht, immer weiter zu funktionieren. Fehler können passieren, dürfen mich aber nicht daran hindern, den geplanten Weg fortzusetzen. Verletzungen müssen schnellstens weggesteckt werden.
Manchmal kann man nicht gleich weitermachen als wäre nichts geschehen
Aber so sind Menschen nicht – zumindest nicht nach meiner Erfahrung. Klar, es gibt Ärgernisse, die kann man schnell abhaken. Wenn der Kuchen nicht gelungen ist oder der Schrank nach dem Aufbau schief aussieht. Das ist ärgerlich, aber kein Drama. Es gibt aber Erfahrungen, die bringen einen wirklich zu Fall. Und da ist es schwer, gleich wieder aufzustehen. Manchmal braucht man Zeit, muss liegen bleiben und versuchen zu verstehen, was passiert ist. Warum der Sturz? Was war mit mir? Und wie geht es mir jetzt?
Der Schreck sitzt in den Gliedern
Das gilt schon fürs ganz konkrete Hinfallen. Letztes Jahr bin ich mit dem Fahrrad ausgerutscht. Ich fuhr langsam, da waren nasse Steine, ich verlor das Gleichgewicht und schwupp – lag ich auf dem Boden. Es war nicht schlimm – ich hatte nur ein paar Schrammen und blaue Flecken abbekommen. Trotzdem tat es ganz schön weh. Und mir steckte der Schreck in den Gliedern.
Langsam aufstehen und vorsichtig weitergehen
Also saß ich erstmal da, fluchte laut und untersuchte die lädierten Stellen. Ein paar Passanten kamen her, um nach mir zu schauen. Die Zuwendung tat gut. Erst nach einiger Zeit war ich wieder sicher genug, um aufzustehen. Und schob dann mein Fahrrad ganz vorsichtig weiter, mit wackeligen Beinen. Nichts mit „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“. Sondern eher: Hinfallen, sitzen bleiben, ausruhen, langsam aufstehen und vorsichtig weitergehen.
Enttäuschungen zulassen und verarbeiten
Das gilt auch im übertragenen Sinne. Das Leben kann einen ins Stolpern bringen. Bei der Jobsuche zum Beispiel. Man gibt sich Mühe, schreibt eine gute Bewerbung, wird zur Vorstellung eingeladen, aber nicht ausgewählt. Das tut erstmal weh. Selbst wenn die Absage freundlich ist – es ist eine Zurückweisung. In solchen Momenten finde ich es wichtig, Enttäuschung zuzulassen. Nicht sofort weitermachen. Nein – erstmal sitzen bleiben. Ehrlich zu mir selbst sein. Spüren: Das schmerzt. Und nach der ganzen Anstrengung erstmal ausruhen. Danach kann ich wieder aufstehen – vielleicht erst noch wackelig, aber irgendwann wieder mit neuem Mut.
Die Krone nicht selbst richten, sondern sich helfen lassen
Dahinter steht ein ganz anderes Menschenbild. Nämlich eins, in dem ich nach einem Stolpern nicht so tun muss, als wäre nichts geschehen. Ein Menschenbild, in dem der Schreck und die Enttäuschung ihren Platz haben. Und bei dem ich mir nicht immer selbst die verrutschte Krone richten muss, sondern mir helfen lassen darf.