hr2 ZUSPRUCH
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Groß, Uwe

Eine Sendung von

Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden

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Als Pilger unterwegs

Heute ist der Jakobustag. In Santiago de Compostela, einem Ort an der Westküste Spaniens, wird heute ein riesiges Weihrauchfass durch die große Kathedrale der Stadt geschwenkt. An dicken Stricken saust es über den Köpfen der Gläubigen hin- und her. Der Jakobustag ist ein großer Festtag zu Ehren des Heiligen Jakobus, er war ein Jünger Jesu, dessen Gebeine - nach einer Legende -  in dieser Kirche aufbewahrt werden. Santiago de Compostela, das ist ein Sehnsuchtsort für viele Menschen, die hunderte von Kilometern gehen, um über sich selbst nachzudenken und vielleicht auch wichtige Antworten für ihr Leben zu finden. 

Knapp 2 Wochen unterwegs

Auch ich bin vor zwanzig Jahren einmal nach Santiago gepilgert. Mit dem Fahrrad bin ich von den Pyrenäen bis nach Santiago über 800 km gefahren. Ich war dafür knapp zwei Wochen unterwegs. Mein Kopf ist noch voller Bilder von dieser Pilgerreise. Da ist die lange Fahrt durch die Weinberge in der Gegend von Rioja, wo ich zur Zeit der Ernte meine Hände nur nach den Trauben ausstrecken musste, um die saftigen Früchte in meinen Mund zu stecken. 

Sie hat mir die Hand geküsst

Ich denke an einen Berg, bei dem es sechs Kilometer nur bergauf ging. Puh - ging mir die Puste aus. Oben angekommen stand ein Gipfelkreuz mit Pilgerandenken. Menschen, die wie ich diesen Weg gegangen oder gefahren sind, haben dort von sich eine Halskette, einen Brief, ein Plüschtier oder einen anderen Gegenstand, der ihnen wichtig war, beim Kreuz abgelegt. Auch eine Kirche war da oben. Mit Menschen aus der ganzen Welt haben wir einen Gottesdienst gefeiert. Jeder hat von seinen Erlebnissen erzählt. Danach ging es mit dem Fahrrad nur noch bergab, und ich habe die ganze Zeit, in der ich das Fahrrad nur so laufen ließ, nur noch „Eviva Espagna“ gesungen. Als ich dann abends in einen der vielen Pilgerorte kam, hab ich auf der Suche nach einem Lager für die Nacht eine alte Frau angesprochen und nach dem Weg gefragt. Als sie erfuhr, dass ich ein Pilger bin, hat sie mir die Hand geküsst, soviel Ehrfurcht hatte sie vor Pilgern. Ich habe Menschen auf dem Weg kennengelernt, die gerade ihren Job gekündigt, eine Scheidung hinter sich oder einen lieben Menschen verloren haben. Sie alle haben neue Kraft gesucht und auch Ideen, wie es im Leben weitergehen kann. 

Die behalte ich für mich

Als mein Bruder mir vor kurzem erzählt hat, dass er nächstes Jahr den Pilgerweg nach Santiago gehen will, da ist in mir die Pilgerseele wieder wachgeworden, und ich habe mich an all diese Bilder zurückerinnert. Eigentlich war das Ziel beim Pilgern fast egal. Mir ging es damals darum, unterwegs zu sein mit meinen Fragen. Ich habe auch ein paar Antworten gefunden. Aber die behalt ich für mich.