hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Theologin, Rüsselsheim

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Als Ausländerin in Tokyo - Fremdsein auf Zeit

Ich gehe durch die Straße – es ist belebt, überall sind Menschen unterwegs – und habe das Gefühl: Alle starren mich aus dem Augenwinkel an. Niemand um mich herum ist so blass, hat so helle Haare und eine so große Nase wie ich. Ich bin eine Ausländerin in Tokyo, und ich falle auf.

Der Nebenplatz in der U-Bahn bleibt leer

Ich sitze in der U-Bahn von Tokyo. Immer mehr Menschen steigen ein. Alle Plätze sind belegt. Außer dem Platz neben mir. Zufall? Ich weiß es nicht. Aber es ist oft so. Als würden Menschen unbewusst vermeiden, sich zu mir zu setzen.

Wenn ich dann mit Leuten rede, sind sie ganz aus dem Häuschen, dass ich ihre Sprache ein wenig spreche. Sie reagieren, als ob das etwas ganz Außergewöhnliches wäre, dass eine Fremde wie ich ein paar Brocken Japanisch kann. Manchmal fühle ich mich, als sei ich ein sprechender Papagei, der für seine Tricks gelobt wird.

Signale, die sagen: Du gehörst hier nicht hin

Ich bin in Japan, im Auslandsjahr, und es ist anstrengend. Die Menschen sind freundlich zu mir – oder zumindest höflich –, und dennoch spüre ich überall um mich herum diese kleinen Signale, die mir das Gefühl geben: Du gehörst hier nicht hin. Und das auch nach einem Jahr. Diese Erfahrung teile ich mit anderen, die schon ihr ganzes Leben in Japan leben. Wer nicht japanisch aussieht, wird als Fremder oder Fremde wahrgenommen. Meistens ist es subtil. Niemand kommt direkt auf mich zu und sagt mir, ich würde nicht hierher gehören. Niemand bedroht mich. Und doch gibt es diese kleinen Momente, in denen ich merke: Ich bin hier fremd.

"Ihr wisst um das Herz von Fremden, denn ihr seid auch fremd gewesen."

Es ist kein gutes Gefühl. Und so bin ich froh, als ich wieder zurück in Deutschland bin und endlich nicht mehr auffalle. In der Bahn schaut mich niemand mehr an, auf der Straße falle ich nicht auf und niemand kommentiert meine Sprachfähigkeit. Immerhin bin ich hier ja auch zu Hause. Seit meiner Auslandserfahrung verstehe ich einen Satz aus der Bibel besser: "Ihr wisst um das Herz von Fremden, denn ihr seid auch fremd gewesen." (2. Mose 23,9)

Teil der Gesellschaft und trotzdem immer wieder schief angeschaut

Für mich war das Fremdsein nach einem Jahr zu Ende. Aber es gibt Menschen, die können das nicht. Menschen, die nicht weiß aussehen, berichten das immer wieder – hier in Deutschland. Meine Freundin Sarah zum Beispiel. Sie ist in Wiesbaden aufgewachsen und zur Schule gegangen, selbstverständlich Teil der Gesellschaft hier – und wird doch immer wieder komisch angeschaut, weil sie Schwarz ist.

Keine Fremde, aber sie wird dazu gemacht

Der Platz neben ihr in der Bahn bleibt oft leer, selbst wenn das Abteil voll ist. Bei Verkehrskontrollen wird sie jedes Mal heraus gewunken. Viele kleine Nadelstiche, die ihr immer wieder signalisieren: Du gehörst nicht hierher. Das ist anstrengend und manchmal demütigend. Auch das Lob für ihr perfektes, akzentfreies Deutsch mag sie nicht mehr hören – sie ist doch eine Deutsche, hier geboren und aufgewachsen. Sie kommt aus Hessen, hier ist ihre Heimat. Sie ist keine Fremde, aber sie wird dazu gemacht.