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Schoen, Dr. Ursula

Eine Sendung von

Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Kann beten helfen? Ja, aber anders!

Kann beten helfen? Ja, aber anders!

„Glauben Sie, dass ein Gebet heilen kann?“ Das werde ich ab und zu gefragt. Gewöhnlich antworte ich dann etwas zurückhaltend: „Beten hilft auf jeden Fall. Es tut dem Kranken gut – und denen, die sich um ihn sorgen auch.“ Aber eine direkte Verbindung zwischen dem Gebet und der Heilung von Krankheiten zu sehen, fällt mir schwer. Ich bete und der andere wird gesund – das widerspricht doch dem aufgeklärten Geist. Vielleicht will ich auch nicht selbstgewiss von mir sagen: Gott gibt mir die Macht dazu.

Es war mir daher auch nicht sehr angenehm, als mich eine brasilianische Freundin nach dem Gottesdienst fragte, ob ich am Nachmittag mit ihr ins Krankenhaus kommen könnte. Ihrer Mutter ging es sehr schlecht, und viele Leute wollten für sie gemeinsam beten. Mit einem etwas mulmigen Gefühl betrat ich am Nachmittag das Krankenhaus. Was würde mich dort erwarten? Eine Heilungszeremonie – ein charismatisches Gebet, bei dem der Heilige Geist herbeigerufen wird?

Als ich in das Zimmer kam, standen schon gut 20 Menschen in einem geschlossenen Kreis um das Bett der alten Frau. Mit kleinen Handzeichen nahmen sie mich hinein in die Gebetsrunde. Sie hatten ihre Bibeln aufgeschlagen und lasen aus dem Buch der Psalmen. Wir beteten gemeinsam. Ich verlor das Gefühl für die Zeit. Die Kranke reagierte kaum. Ich konnte nicht sehen, dass es ihr besser ging. Aber ich nahm etwas Anderes wahr. Was am Bett dieser Frau entstand, war eine Art Lichtraum, der sie und uns umgab. Ihre Lebenskräfte nahmen ab, aber dieser Lichtraum hielt uns in gewisser Weise alle.

Es ging nicht um die Frage, ob unser Gebet sie heilt. Es ging um die Kraft, die die Sterbende und uns in diesem Augenblick trug. Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz hat in einem Gedicht geschrieben: „Manchmal stehen wir auf – mitten am Tage….vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“

Meine Erfahrung an diesem Krankenbett lässt mich an die Erzählungen im Neuen Testament denken, wie Jesus geheilt hat. Im Zentrum dieser Geschichten steht immer: Gott kommt dem Menschen nahe. Gott ist da und hilft, das Leiden zu überwinden oder es auszuhalten. Und das lässt Gott den Kranken durch andere Menschen spüren. Gottes Nähe heilt. Sie trägt aber auch, wenn wir nichts für den Kranken tun können, wenn es keine Besserung gibt.

Kann ich durch Beten heilen? Darum geht es gar nicht. Es geht um die Erfahrung und um das Vertrauen: Gott ist ein tätiger Gott. Gott ist da und lässt sein Licht um den kranken Menschen leuchten. Und das kann ich den anderen spüren lassen, wenn ich für ihn oder für sie bete.