hr2 ZUSPRUCH
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Schoen, Dr. Ursula

Eine Sendung von

Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Irgendwo im Nirgendwo - Wo sind die Toten?

Der Text auf der Traueranzeige berührt mich: „Einst werde ich liegen im Nirgend – bei einem Engel irgend!“ Eine Schulfreundin von mir ist gestorben. Ihre Familie hat die Trauerkarte mit diesem Satz aus einem Gedicht von Paul Klee und einem Engelsbild von ihm gestaltet Auf der Trauerkarte steht nicht, warum sie plötzlich gestorben ist.

„Einst werde ich liegen im Nirgend – bei einem Engel irgend!“ – Diese Sentenz scheint zu ihrem Leben zu passen. Lange schon hatte sie sich in einer eigenen Welt bewegt. Sie hatte kaum mehr Gespräche gesucht, keine Kontakte gepflegt. Ja, in gewisser Weise war sie im Nirgendwo gewesen, an einem inneren Ort, an dem wir sie kaum mehr erreichen konnten. Menschenscheu, unruhig und still, abhängig von Alkohol war sie geworden. Keiner wusste genau, wie dieser Rückzug begonnen hatte. Vielleicht war es für ihre Familie eine Art Trost, eine kleine Hoffnung: Wenn nicht wir, so hat doch ein Engel, unbekannt und unerkannt, über sie seine Hand gehalten.

„Einst werde ich liegen im Nirgend.“ Wo sind die Toten? Oft fragen mich das die Hinterbliebenen in Trauergesprächen. Das ist keine theoretische Frage oder eine, auf die ein christlicher Bekenntnissatz erwartet wird. In ihr schwingt die Sorge mit: Wer kümmert sich jetzt um die Verstorbene, wenn ich es nicht mehr kann? Wer gibt ihr Schutz und Geborgenheit? Letztlich ist es auch eine Frage nach uns selbst: Wo lebt meine Geschichte mit dem verstorbenen Menschen weiter? Bricht sie ab oder bleibt sie Teil meines Lebens?

„Trauer ist die Suche nach einem guten Ort für die Toten“, sagt die Trauerbegleiterin Tabea Oehler. Diese Suche kann ein sehr langer Weg sein. Am Ende ist der Verstorbene nicht einfach vergessen. Die Beziehung zu ihm oder ihr bleibt mir, aber sie bekommt einen neuen Platz.

„Einst werde ich liegen im Nirgend.“ Über Jahrhunderte waren Friedhöfe die Orte, an denen die Geschichten mit Menschen und die Trauer um sie ihren Platz hatten. Ein alter Herr, der lange Jahre seine schwer kranke Frau gepflegt hat, besucht jeden Tag ihr Grab. „Heute war ich wieder bei meinem Liebchen!“, sagt er.

Das Grab der Angehörigen besuchen und pflegen, ist heute oft schwierig, da die Familie weit entfernt wohnt. Dann bekommt die Trauer um den Verstorbenen einen Platz zu Hause: das Bild auf dem Tisch, die Erinnerung im Herzen, der Austausch mit denen, die den Verstorbenen gekannt haben.

„Einst werde ich liegen im Nirgend.“ Wo sind die Toten? Die Bibel antwortet darauf: Sie sind nicht im Nirgendwo. Sie leben mit Christus bei Gott. Das ist kein Totenreich, sondern ein Land der Lebendigen. Hier sind die Toten aufgehoben und nicht nur sie, sondern auch meine Geschichte mit ihnen. Das klingt fromm. Ist es auch. Ich habe in den vielen Abschieden meines Lebens gespürt, wie mein Glaube mir die Trauer leichter macht. Ich muss die Verstorbenen nicht im Leben halten. Ich muss sie nicht vor dem Vergessen bewahren. Sie sind bei Gott. Sie sind dort aufgehoben. Gott sorgt für sie. Das gibt mir die Zeit, sie langsam loszulassen und den richtigen Ort für meine Erinnerung an sie zu finden.