hr2 ZUSPRUCH
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Kohl, Rüdiger

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN

Im Haus des Jugendrechts

Pascal weiß: Er hat Mist gebaut. Sechs Wochen ist es her, da schlug er einen anderen Jugendlichen auf offener Straße zusammen. Er war der Meinung, Tim habe seine Freundin belästigt. Zuerst brüllten sie sich an, ein Schimpfwort gab das andere. Und dann schlug Pascal zu. Nur zweimal, doch das reichte, um den Kontrahenten kampfunfähig zu machen. Tim sackte zusammen. Die Nase war gebrochen. Und nun sitzen sie sich gegenüber, der Täter und das Opfer. Und reden über das, was geschehen ist. Mit am Tisch sitzt eine Mitarbeiterin der Täter-Opfer-Ausgleichsstelle. Sie moderiert das Gespräch.

Alle drei begegnen sich im Haus des Jugendrechts in Frankfurt. Es ist vor wenigen Wochen eröffnet worden als drittes Haus dieser Art in Hessen. Hier arbeiten mehrere unter einem Dach zusammen: Die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Jugendgerichtshilfe, die Täter-Opfer-Ausgleichsstelle und der Verein Kinder- und Jugendhilfe. Das Konzept ist in allen drei Häusern gleich: Alle, die mit Jugendstrafverfahren zu tun haben, arbeiten Tür an Tür. Sie sind damit effizienter und schneller. Jetzt vergehen oft nur wenige Wochen von der Tat bis zum Prozess, zum Strafbefehl oder auch der Einstellung des Verfahrens.

Getragen wird die Täter-Opfer-Ausgleichsstelle von der evangelischen Kirche in Frankfurt. Sie arbeitet nach einem Motto Jesu. Der gab in der Bergpredigt den guten Rat: „Vertrage dich mit deinem Gegner sogleich, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, damit dich der Gegner nicht dem Richter überantworte und du ins Gefängnis geworfen wirst .“

Und so können sich Pascal und Tim begegnen, damit es nicht weiter Streit vor Gericht gibt. Je gründlicher ein Konflikt aufgearbeitet wird, desto besser. Zuerst geht es darum, ob beide bereit sind, nach einer einvernehmlichen Regelung zu suchen. Davon profitieren beide Seiten: Tim, dem Opfer, soll geholfen werden, das Geschehene zu verarbeiten. Pascal soll verstehen, was er angerichtet hat und eine Wiedergutmachung anbieten. Wenn es gut geht, steht am Ende eine Vereinbarung. Dass sie eingehalten wird, das überwacht die Mitarbeiterin des Täter-Opfer-Ausgleichs.

Es ist für Täter und Opfer kein leichter Schritt, sich an einen Tisch zu setzen. Doch der Erfolg gibt dem Modell recht: So konnten zum Beispiel im Haus des Jugendrechts in Frankfurt-Höchst 90% der Verfahren nach dem Täter-Opfer-Ausgleich eingestellt werden.

Konflikte lösen, sich mit anderen Menschen versöhnen: Das ist nicht leicht. Und nur selten heilt die Zeit alle Wunden. Deshalb ist es gut, sich einem Konflikt zu stellen. Am besten mit Hilfe einer unbeteiligten Person. Hier wird ein Weg beschritten, der sich lohnt. Auch für Streit, den man selbst vielleicht kennt, in der Familie oder bei der Arbeit. Auch dann ist das ein guter Weg, wenn ein solcher Streit nichts mit Gewalt zu tun hat.

Pascal, der Täter, nutzt diese Möglichkeit. Irgendwie ist er erleichtert, dass der andere bereit ist, seine Sicht der Dinge anzuhören. Er hofft, dass er sich in Zukunft besser im Griff hat. Und seinem ehemaligen Gegner Tim in die Augen schauen kann, wenn er ihm das nächste Mal im Stadtteil über den Weg läuft.