hr2 ZUSPRUCH
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Schoen, Dr. Ursula

Eine Sendung von

Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Post

Einmal im Jahr bekomme ich einen besonderen Brief. Er ist dicht beschrieben. Zeile reiht sich an Zeile – auf beiden Seiten eng gefüllt. Nur gelegentlich springt ein fett gedrucktes Wort ins Auge: Weihnachtsgeschenke - Telefonate - Fahrkarte zur Familie. Verlockende Worte. Sie erinnern mich an schöne Momente. An Weihnachten mit dem Zug nachhause fahren, in der kalten Telefonzelle stehen und am Telefon die Nähe meiner Schwester spüren. Sie wecken gute Gefühle in mir: etwas erwarten, geborgen sein, verbunden sein.

Der Brief kommt aus dem Frauengefängnis in Frankfurt-Preungesheim. Dort sind Frauen aus fast allen Ländern der Welt inhaftiert. Einige stammen aus Afrika. Andere haben ihre Kinder irgendwo in den Hungergegenden in Lateinamerika zurückgelassen. Sie wollten als Drogenkuriere das nötige Geld für ihre Familien verdienen. Für mehrere Jahre sitzen sie in Deutschland in Haft. Weit weg von Zuhause und umgeben von einer fremden Sprache.

Die Absenderin des Briefes sind die „Evangelischen Pfarrerinnen bei der Justizanstalt für Frauen“. Sie schreiben jedes Jahr einen solchen Brief. Der Brief geht an die Freunde und Freundinnen draußen, an die Unterstützerinnen ihrer Arbeit im Gefängnis. Sie erzählen vom Alltag der Frauen im Gefängnis. Wie schwer es für die Frauen ist von ihren Kindern und Familien getrennt zu sein. Nicht zu wissen, wie es ihnen geht und welche täglichen Sorgen sie haben. Da ist das Telefon oft die einzige Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Die Telefonate sind teuer und auf weniger als eine Stunde im Monat beschränkt. Und das Weihnachtspäckchen ein kleines Zeichen, nicht von der Welt vergessen zu sein.

Darum bitten die Pfarrerinnen in ihrem Brief auch um Spenden, die sie dringend für ihre Arbeit braucht, Geld für Telefonkarten und Weihnachtspäckchen, für Fahrtkosten. Genau die Dinge, die nötig sind, damit ein wenig Glanz in den eintönigen Alltag kommt und damit die Hoffnung auf eine Rückkehr in das frühere Leben in den Frauen weiterlebt.

„Wir sind geboren, um den Glanz Gottes zu offenbaren“, hat Marianne Williamson einmal geschrieben, eine amerikanische Friedensaktivistin. Und weiter: “Wenn Du Dich klein machst, hilft das der Welt nicht. Gott braucht Menschen, die sich von Hoffnung bewegen lassen und anderen helfen, diesen Glanz in sich wieder zu spüren.“ Die Pfarrerinnen im Frauengefängnis in Preungesheim sind für mich solche Menschen. Sie helfen den Frauen, Gottes Glanz in sich wieder zu spüren. Während ich ihren Brief lese, strahlt auch mein eigenes Leben in einem neuen Glanz, das ich geborgen, sicher und frei führen kann.