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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Positiv dagegen

„Wir dürfen die Demokratie nicht verplempern“, das war der Grundsatz von Lore Lorentz. Die Kabarettistin glaubte an einen demokratischen Neuanfang nach dem Krieg. Sie glaubte an das Recht der Mitbestimmung. Dafür setzte sich die studierte Philosophin ein. Und das auf ungewöhnliche Weise. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie in Düsseldorf Deutschlands erstes Nachkriegskabarett – das Kom(m)ödchen. 1944 war das. Sie wurde zum weiblichen Star des Kabaretts. Mit Kopf und Herz. Worum es ihr dabei ging, sagte sie deutlich. Ihr erstes Soloprogramm trug den Titel: „Positiv dagegen“.

Mir gefällt, wie sie Demokratie versteht. Und dass für sie „Positiv dagegen sein“ unbedingt dazu gehört.  Also: Sagen,  was man für falsch hält, aber auch dem etwas Positives entgegenzusetzen. Es geht darum, mitzubestimmen und mitzugestalten. Also auch um protestieren. Denn das bedeutet ja wörtlich: Zeugnis ablegen. Zeugnis ablegen davon, wofür man steht.

Als Protestantin finde ich das gut. Auch wenn Protestieren nicht immer leicht ist. Oft braucht es dazu Mut. Natürlich durfte man in der jungen bundesrepublikanischen Demokratie der fünfziger Jahre demonstrieren und protestieren. Aber für viele ging es eher darum aufzubauen, sich einzurichten. Für eine Mehrheit war das kein Klima, um mit politischem Engagement aufzufallen. Lore Lorentz hat sich getraut, Stellung zu beziehen und eine Meinung zu haben. Sie hat die Dinge beim Namen genannt. Und eine Vision gehabt, wie es besser sein könnte. Sie war positiv dagegen. Und das mit Humor. Sie hielt das bei, ein Leben lang. So antwortete sie einmal kurz vor ihrem Tod: „Wenn Sie mich fragen, wie der 3. Oktober gefeiert werden soll, so würde ich hoffen, nicht nur schulfrei, sondern auch politikfrei, redenfrei, so frei wie möglich.“

Und auch heute noch kann man lernen, wie man positiv dagegen ist. Mir hat das als Studentin ein Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig gezeigt. An einem Nachmittag nahm er mich mit in den sogenannten Bürgerverein. Hier trafen sich Menschen, die in der Innenstadt wohnten. Ihr gemeinsames Interesse war es, das Leben dort lebenswert zu erhalten. Ihre Lebensqualität sahen sie vor allem durch Lärm gefährdet: Abends fanden sie keinen Schlaf und am Wochenende keine Ruhe.  Schuld waren open-air Konzerte, zu lange Öffnungszeiten von Straßencafes und Straßenmusiker.

Nur darüber schimpfen? Das ist zu wenig. Im Bürgerverein der Kirchengemeinde übten sie gemeinsam, positiv dagegen zu sein. Sie schrieben Briefe an die Stadt und trafen sich mit Eventmanagern. Sie handelten Kompromisse aus. Erkundigten sich nach neuen Beschallungstechniken für Großveranstaltungen und Lärmschutz für die Häuser. Aus ihrem Gemecker wurden Vorschläge, wie es besser sein könnte. Sie lernten zu protestieren, angeleitet von einem Protestanten – ihrem Pfarrer.

Lore Lorentz, mein Leipziger Pfarrer, … Ich halte gern nach Menschen Ausschau, die mir das zeigen: Positiv dagegen sein. Denn ich bin ganz Lore Lorentz Meinung: „Die Zeiten waren nie so ernst wie immer.“