hr2 ZUSPRUCH
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Kohl, Rüdiger

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN

Insgesamt sind wir glücklich miteinander

Heute ist ihr großer Tag. 65 Jahre sind sie miteinander verheiratet. Eiserne Hochzeit! „Herzlichen Glückwunsch“, sage ich und überreiche dem Ehemann die Blumen. Er stellt sie in eine Vase, die eine Pflegerin vorher vorbei gebracht hat. Dann sitzt mir das alte Ehepaar gegenüber. Sie im Rollstuhl, er auf dem Stuhl neben dem kleinen Tisch. Beide sind um die 90. Der Frau im Rollstuhl fallen immer wieder die Augen zu.  „65 Jahre Ehe – und das mit derselben Frau“, sagt er. Wir beide lachen. Seine Frau lacht nur noch ganz selten über Witze. Sie versteht sie nicht mehr. Sie ist stark dement. Seit zwei Monaten hat sie einen Platz im Pflegeheim in unserem Stadtteil. „65 Jahre - eine lange Zeit, mit Höhen und Tiefen. Seit ein paar Monaten ist es wirklich schwer. Doch insgesamt sind wir glücklich miteinander“, sagt er.

„Insgesamt sind wir glücklich miteinander.“ Dieser Satz geht mir noch länger nach. Der Ehemann hat den Satz nicht in der Vergangenheitsform gesprochen. Können die beiden jetzt glücklich sein? Und was ist das überhaupt? Ich weiß nur: Glücklich sein, das möchte jeder. Das war schon vor Jahrtausenden so. In der Bergpredigt in der Bibel zum Beispiel sagt Jesus, wen er für glücklich hält, in den Seligpreisungen. Selig sein ist im Grunde nichts anderes als glücklich sein, nur noch mehr. Und Jesus wusste was vom Glück, hat das irdische Glück nie madig gemacht und wusste die Freuden des irdischen Glücks zu schätzen. Umso erstaunlicher ist es, wen Jesus überglücklich nennt. Er sagt: „Selig - glücklich, überglücklich - sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden“. Das klingt ja erst mal paradox. Jesus wusste: Nicht die sind glücklich, die sinnlos leiden. Auch nicht die, die sich vom Leid anderer fernhalten. Er sagt: Glücklich, selig sind die, die Leid tragen und mittragen.

Leid tragen und mittragen – darin übt sich das alt gewordene Ehepaar gerade ein. „Wir hätten gerne wieder alle Verwandten eingeladen und groß gefeiert“, erzählt der Ehemann. „So wie vor fünf Jahren. Zur Diamantenen Hochzeit. Da hatten wir eine Andacht in der Kirche. Die Pfarrerin hat uns gesegnet. Ein große Feier, damals. Doch jetzt geht das nicht mehr, Sie sehen ja. Aber mir ist es wichtiger, dass unsere Söhne mich unterstützen. An den Wochenenden kommen sie immer und kaufen für uns ein. Ich weiß, dass ich nicht allein bin. Auch wenn ich meine Frau, wie sie einmal war, schon verloren habe.“

Vielleicht ist es eine besondere Form des Glücks, die die beiden Menschen nun miteinander leben. Trotz aller traurigen und schwierigen Momente. Trotz aller Ängste. Denn nicht die Absicht, sich von Leiden möglichst fern zu halten, macht glücklich. Das Glück lässt sich eher finden in der Bereitschaft, sich auf andere Menschen einzulassen, sich anrühren zu lassen und für andere einzustehen. Solidarisch mitzugehen und dabei die Nähe Gottes zu spüren. Und selber getröstet zu werden. Um so sagen zu können: „Insgesamt sind wir glücklich miteinander.“