Noch ein ganz anderes Licht
Seine Weihnachtsferien sind jetzt auch vorbei. Seit heute Morgen sitzt er wieder in der Straßenbahn. Meistens sitzt er ganz hinten, da hat er nämlich viel mehr Platz. Den braucht er auch. Denn rechts neben ihm auf dem freien Sitz liegt seine alte Tasche, auf der steht in dicken, schwarzen Buchstaben der Bibelspruch Hebräer 13,8: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Und links von ihm auf dem Sitz liegt aufgeschlagen seine Bibel, schon ziemlich zerfleddert. Auf dem Sitz dazwischen sitzt er und hält die BILD-Zeitung in seinen Händen. Dazu trägt er, auch im Winter, nur knielange Hosen an seinen kräftigen Beinen und einen dicken Pullover, der schon bessere Tage gesehen hat. Eine seltsame Zusammenstellung ist das.
Ich sehe ihn oft am frühen Morgen. Und schon lange rätsele ich darüber, was diese Zusammenstellung wohl zu bedeuten hat. Auf der Tasche der Bibelspruch Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. In der Hand die BILD-Zeitung, die ja nun so gar nichts mit der Ewigkeit zu tun hat, höchstens mit dem Gericht. Vielleicht ist das ja sogar der tiefe Grund seines ganzen Aufzugs. Der Mann will einerseits wissen, was los ist in der Welt, vom Schmerz über die Lüge bis hin zum guten Ende mancher Zeitungsgeschichte. Andererseits will er aber auch wissen, dass die Welt längst nicht alles ist und eine Ewigkeit auf ihn wartet. Der Mann, der dabei so zerzaust aussieht, will wissen, was heute wichtig ist. Er will aber genauso wissen, was immer wichtig bleibt.
Ich kenne den Grund für seine Zusammenstellung nicht - aber dieser tiefe Sinn würde mir gefallen. In seiner Hand die Zeit, in seiner Tasche die Ewigkeit. Vor den Augen die Schlagzeilen der Welt, in seiner Tasche die Schlagzeile Gottes. Vielleicht brauchen wir das ja, damit wir an den Schlagzeilen eines Tages nicht so ausgeliefert sind und vielleicht verzweifeln müssen. In einer unserer vielen Taschen auch noch das gute Gefühl, dass die Welt nicht alles ist und etwas Ewiges auf uns wartet. Dass da also mehr ist als Schlafen und Aufstehen, Essen und Trinken, Schmerz und Trauer, Arbeiten und Faulenzen. Da ist auch noch ein besonderes Licht. Das ist immer da, auch wenn ich es gerade nicht sehe. Und das Licht sagt mir: Mach dir nicht zu viele Sorgen, wenn du die Nachrichten hörst. Mach dir nicht zu viele Gedanken, wenn dir der Alltag weh tut. Du bist ja nicht alleine mit alledem. Du musst die Welt nicht alleine zurecht bringen. Du lebst nicht nur in und von deinen eigenen Händen. Du lebst auch in der Hand Gottes. Gestern und heute und in alle Ewigkeit. Wunderbar ist das. Und gut zu wissen. Das trägt man doch gerne in seiner Tasche.