Eine Liebeserklärung
Lassen Sie uns mal von der Liebe reden. Im Mai nichts ganz Ungewöhnliches.
Sie sei, so wird gesagt, eine Himmelsmacht.
Himmel oder nicht: eine Macht ist sie ganz gewiss. Eine Macht, die für die Liebenden die Welt verwandelt.
Wer liebt, hat das Bedürfnis, dieses überwältigende Gefühl in Worte zu fassen.
Sie werden bei jedem anders sein und sind doch in ihrer Botschaft ähnlich:
Ich kann ohne Dich nicht sein. Du gibst meinem Leben neuen Glanz, Du bist mir nötig wie die Luft zum Atmen.
Die Liebeserklärung, von der ich Ihnen heute erzählen will, entstand unter sehr bedrückenden, ja extremen Bedingungen.
Es sind die Worte eines Mannes, der zum Tode verurteilt ist und jeden Tag mit der Vollstreckung rechnen muss. Und die Antworten einer Frau, die in dieser Situation seelisch an der Seite ihres Mannes bleibt, dabei alle Hebel in Bewegung setzt um das Todesurteil abzuwenden und ihm mit ihrer ganzen Lebendigkeit ein Trost ist in den Stunden der Verzweiflung.
Ich rede von Helmuth James und Freya von Moltke.
Moltke, ein entschiedener Christ und Weltbürger, hatte in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einem Kreis von Gleichgesinnten über die Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des 3. Reiches nachgedacht.
Er ist dafür von den Nazis noch im Januar 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.
In den wenigen Tagen, die zwischen Todesurteil und Hinrichtung lagen, lässt der 38jährige Jurist noch einmal sein Leben Revue passieren und sieht es in allen Details unter Gottes Fügung gestellt. Den politischen Widerstand schließt er ausdrücklich darin ein. „Alles“, so schreibt er an seine Frau, „bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war.“
„Und nun mein Herz komme ich zu Dir,“ fährt er fort. „Ich habe Dich nirgends aufgezählt, weil Du, mein Herz, an einer ganz anderen Stelle stehst als alle die andern. Du bist nämlich nicht ein Mittel Gottes, um mich zu dem zu machen, der ich bin. Du bist vielmehr ich selbst. Du bist mein 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes. Ohne dieses Kapitel ist ein Mensch kein Mensch.“(1)
Und was steht im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes? Berühmte Worte, die nur eine Botschaft haben: Alles Tun, alle Anstrengungen des Geistes und des Glaubens bleiben hohl, wenn die Liebe fehlt. Die Liebe zum Mitmenschen.
„Wenn ich mit Menschen-und Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle“, so beginnt es und setzt sich über 13 Strophen fort, die beinah so bekannt sind wie die Weihnachtsgeschichte.
Helmuth James und Freya von Moltke haben sie sicher auswendig gewusst.
„Nur wir zusammen sind ein Mensch“, schreibt er an sie. „Wir sind ein Schöpfungsgedanke.
Darum, mein Herz, bin ich auch gewiss, dass Du mich auf dieser Erde nie verlieren wirst, keinen Augenblick.“
Sie antwortet mit großer Festigkeit: „Mein Herz, meine Fürbitte für dich ist nicht mein Gebet. Mein Leben ist es, mein Sein, meine Existenz, mein Zu-Dir-Gehören im Leben, wo immer das Leben gelebt wird.“(2)
Moltke starb durch die Hand des Henkers in der Gewissheit dieses Aufgehobenseins. Freya aber trug diese Liebe wie ein unauslöschliches Siegel durch ihr ganzes, langes Leben. Ohne dass es sie je unfrei gemacht hätte.
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(1) Helmuth James und Freya von Moltke, Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, München 2011, Brief vom 10./11. Januar 1944
(2) Brief vom 13. Januar 1944